Biobauer mit Aktiengesellschaft: Der Gemüse-Kapitalist

Christian Hiß will Gewinn machen. Doch er verspricht Investoren nicht die großen Profite, sondern eine grüne Landwirtschaft.

Ein Kilo Möhren produziert Heß für zwei Euro. Bio-Großfarmen stellen das für 80 Cent her. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Christian Hiß ist Biobauer durch und durch – und deshalb hat er die Mistgabel erst einmal gegen den Laptop eingetauscht. Die von ihm im Breisgau gegründete Regionalwert AG erfordert seinen vollen Einsatz. Was im ersten Moment wie ein Paradox klingt, ist Konzept: Ausgerechnet eine Aktiengesellschaft sorgt dafür, dass kleine Biohöfe überleben können. Nun will der Mittfünfziger dafür sorgen, dass sein sehr erfolgreiches Modell für eine Landwirtschaft ohne Monokulturen und überdimensionierte Maschinenparks auch anderswo Schule macht.

In München hat das schon geklappt. Aufgewachsen ist Hiß auf dem Demeter- Hof seiner Eltern. Mit 20 Jahren machte er sich selbständig. Auf seinem Gärtnerhof in Eichstetten bei Freiburg baute er 70 Gemüsesorten an, legte jedes Jahr Saatgut fürs nächste Frühjahr zurück. Auch eine kleine Kuhherde gehörte zu dem Hoforganismus, wie Anthroposophen einen solcherart strukturierten Landwirtschaftsbetrieb bezeichnen. Doch mit wachsender Beunruhigung beobachtete Hiß, dass die Situation für ihn und seinesgleichen immer schwieriger wurde.

Hatte es zum Zeitpunkt seiner Geburt noch über 330.000 Bauernhöfe in Baden- Württemberg gegeben, so waren es zur Jahrtausendwende nur noch knapp 70.000. Inzwischen sind es gerade einmal 43.000. Infolgedessen wurden die Betriebe immer größer, der Einsatz von Maschinen und Agrochemikalien nahm zu, während immer weniger Menschen in der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienten.

Viele Familienbetriebe verschwanden aber auch deshalb, weil es keinen geeigneten Nachfolger gab und sich junge Menschen, die gerne Bauern werden wollten, keinen Hof leisten konnten. 400.000 bis 800.000 Euro kostet heute ein durchschnittlicher Landwirtschaftsbetrieb in Südwestdeutschland. Für Hiß wurde es finanziell schwierig, als Anfang des Jahrtausends der Bioboom kam. Denn viele der neuen Biobetriebe wirtschaften ähnlich wie die konventionellen – nur eben ohne Pestizide und Kunstdünger: Ihre Äcker sind groß und sie spezialisieren sich auf einzelne Produkte. 

Keine Massenproduktion

Auch hier kommen große Landmaschinen zum Einsatz, weil die Supermarktketten die Ware nur abnehmen, wenn der Preisunterschied zum übrigen Sortiment nicht allzu groß ist. Hiß veranschlagte für ein Kilo Möhren Produktionskosten von etwa zwei Euro, während die neuen Bio-Großfarmen die gleiche Menge für 80 Cent herstellen konnten. Selbst auf Massenproduktion zu setzen und die Vielfalt seines Hofes aufzugeben, kam für ihn aber nicht in Frage.

Er ist überzeugt, dass nur eine kleinteilige, regional angepasste Landwirtschaft langfristig die Bodenfruchtbarkeit erhalten und die Menschheit ernähren kann. „Es kann doch nicht sein, dass derjenige, der nachhaltig arbeitet, auch noch dafür bezahlen muss. Und es darf nicht sein, dass die Nahrungsmittel am billigsten sind, die die größten Schäden hinterlassen“, sagt Hiß. Das war damals sein Ausgangspunkt.

Hiß meldete sich zu einem Fernstudium in Social Banking und Social Finance an der Universität Plymouth in Großbritannien an. Er büffelte am Feierabend ökonomische Theorien und Bilanzrechnung. Nach einer Weile kam ihm die Idee, eine Bürger-Aktiengesellschaft zu gründen – ausgerechnet die Betriebsform, die am stärksten mit Effizienz und Kapitalismus assoziiert ist. Seit 2006 existiert die Regionalwert AG, die Lebensmittel produziert und vertreibt.

Hiß brachte seinen eigenen Demeter-Betrieb als erstes ein. Inzwischen hat die Regionalwert AG mehrere Bio-Höfe, darunter einen Apfelerzeuger und ein Weingut gekauft. Damit sich das alles wirtschaftlich trägt, hat die Aktiengesellschaft auch mehrere Bioläden, einen Großhandel und eine Trockenobstmanufaktur erworben oder beteiligt sich als Anteilseigner finanziell daran. Dazu kommt ein Cateringbetrieb, ein Biokistenvertrieb, ein Gasthaus.Der neueste Partner: Eine Kitaküche. So sind es derzeit 15 Betriebe, die unter dem Dach der AG gemeinsam wirtschaften, sich gegenseitig beliefern oder Aufträge geben und zusammen Gewinne erwirtschaften. 

Die Trockenobstmanufaktur macht Kirschen, Äpfel, Tomaten oder Suppengemüse haltbar. Bild: dpa

Annette und Gerd Feldmann haben den biologisch-dynamischen Gemüsehof Querbeet in Eichstetten von der Regionalwert AG gepachtet. Die beiden Gärtnermeister bewirtschaften zusammen mit einem Dutzend Mitarbeitern die zwölf Hektar Anbaufläche sowie einige Gewächshäuser, die mit Mist aus dem Stall gedüngt werden. Ihr Betrieb bildet aus, auch zwei Behinderte haben hier ihren Arbeitsplatz.

Das Gros ihrer Erzeugnisse verkaufen sie über die anderen Regionalwert-Betriebe, ein Teil geht an zwei Krankenhausküchen. „Das Ganze ist eine große Chance für alle im Netzwerk“, ist auch Maria Abbate überzeugt. Sie betreibt zusammen mit ihrem Partner die Trockenobstmanufaktur, macht Kirschen, Äpfel, Tomaten oder Suppengemüse haltbar. Für die Bauern ist das dann besonders hilfreich, wenn sie Überschüsse produziert haben.

Doch nicht nur die Zahl der Betriebe, sondern auch die der Aktionäre wächst. 500 Bürgerinnen und Bürger überwiegend aus der Freiburger Region sind inzwischen an der Regionalwert AG beteiligt. Sie hat zwei Millionen Euro Grundkapital eingesammelt. Eine feindliche Übernahme oder eine andere Gefährdung des Unternehmens durch einzelne Aktionäre ist ausgeschlossen. Wer einmal eingestiegen ist, kann sein Geld nicht plötzlich abziehen. Er hat nur die Möglichkeit, seine Anteilsscheine weiterzuverkaufen – vorausgesetzt der Vorstand akzeptiert den neuen Investor.

Außerdem ist es zwar denkbar, dass ein reicher Mensch Mehrheitseigner wird, doch über 20 Prozent der Stimmrechte kann er trotzdem nie bekommen. Wer nur an einer hohen Rendite in Form von Geld interessiert ist, ist bei der Regionalwert AG falsch. „Wir bilanzieren bei der Wertschöpfung nicht nur die finanziellen Gewinne, sondern auch den sozialökologischen Nutzen der Landwirtschaft: Wie die Kulturlandschaft aussieht und wie sauber das Grundwasser ist, ob regional angepasstes Saatgut und die Bodenfruchtbarkeit erhalten bleiben,“ erläutert Hiß.

Jährlich gibt es eine Hauptversammlung, auf der die Aktionäre diskutieren, wie Landwirtschaft aussehen soll. Mittlerweile existiert auch in München eine Regionalwert AG Isar-Inn, drei weitere in anderen Regionen sind in Vorbereitung. In Frankfurt am Main ist ebenfalls ein landwirtschaftlicher Holding-Betrieb entstanden, dessen Konzept sich an die Regionalwert AG anlehnt. „Mit der aus der Industrie übernommenen Bilanzmethode kommen wir in der Landwirtschaft nicht weiter – das ist inzwischen vielerorts klar“, sagt Biobauer Hiß. Er ist zufrieden: Seine Saat geht auf.

Annette Jensen, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 2/2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.