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Bindung, Lust und Selbstwert lernenNeues Schulfach "Glück"

An der Heidelberger Willy-Hellpach-Schule wird seit einem Jahr "Glück" unterrichtet - von vielen belächelt. Nun bestätigen Wissenschaftler: Das Fach stärkt die Persönlichkeit von Jugendlichen

Auch das kleine Glück beim Kochen steht auf dem Stundenplan. Bild: photocase/mediengestalterei

Janina schließt ihre Augen. Sie sitzt entspannt im Klassenzimmer: die Wände klassisch in Vanillegelb, die Schüler auf Holzstühlen im Kreis, die kargen Zweiertische an den Rand geschoben. Auf einem steht "Schule ist scheiße".

Die Arme locker im Schoß, versucht Janina, 17, die Stimmung im Raum aufzunehmen. Ein Mitschüler beginnt mit Durchzählen. Die anderen folgen wahllos, aber einer nach dem anderen. Es geht darum, intuitiv die atmosphärische Lücke zu füllen, jedem Raum zu lassen, sich aber auch selbst Raum zu nehmen.

Es klappt nicht gleich. Manche feuern sofort los. Andere sagen erst mal gar nichts. Beim fünften Anlauf zählt die Gruppe durch, ohne dass irgendjemand den anderen gestört hätte. Völlig zwanglos. Applaus.

Janina und die anderen im Klassenzimmer haben Glück - als Unterrichtsfach. Das ist kein Scherz. Der Initiator heißt Ernst Fritz-Schubert und sitzt im Chefsessel der Heidelberger Willy-Hellpach-Schule, 1. OG, Zimmer 112 . Der Oberstudiendirektor hat es satt, dass Schule bei den Schülern gleich nach dem Zahnarztbesuch rangiert.

Gemeinsam mit anderen Pädagogen und Bernhard Peters, dem Ex-Hockey-Bundestrainer und Sportdirektor des Fußball-Erstligisten TSG 1899 Hoffenheim, hat er deshalb vor einem Jahr ein Unterrichtsfach entworfen, das "wieder Bildung im ursprünglichen Sinn" vermitteln soll. "Und dazu gehört unbedingt die Fähigkeit, Glück zu empfinden", sagt Fritz-Schubert. Sogar das baden-württembergische Kultusministerium unterstützt ihn, spricht aber lieber von "Lebenskompetenz" als von "Glück".

Der Unterricht baut vornehmlich auf Eigenerfahrung. Dazu binden Schauspieler die Schüler in praktische Theaterarbeit ein. Mit Motivationstrainern üben die Schüler positive Emotionen, Familientherapeuten entwickeln mit ihnen die Vorstellung vom Ich in der Gemeinschaft. Handwerker, Bildhauer oder Sportler sind dabei. Es geht um Geist und Körper.

"Wir möchten auch ein Bewusstsein dafür schaffen, wie sich gesunde Ernährung auf die Stimmung auswirkt", sagt der Direktor. "Es geht um die Bildung der Persönlichkeit in allen Bereichen." Das Einkaufen und Zubereiten von Lebensmitteln gehört zum Stundenplan. Das Team besteht aus Idealisten. Nur die Aufwendungen werden bezahlt.

Nun, am Ende des Schuljahres, warten alle auf Ergebnisse. Sind die Schüler glücklicher? Fritz-Schubert hat seine Erfahrungen aufgeschrieben: Das Buch "Schulfach Glück" erscheint im August. Am Freitag stellten zwei Wissenschaftler auf einem Symposion in Heidelberg ihre Arbeiten vor, in denen sie je eine "Glücks"- und eine Kontrollgruppe, also eine Klasse ohne Glück als Fach, untersucht haben.

Der taz erklärte der Wiener OECD-Beauftragte für Sozialforschung, Ernst Gehmacher, das Fach habe eine enorme Wirkung auf die Persönlichkeit: "Es ist beeindruckend, wie stark das Engagement in der Gemeinschaft und die Lust an der Leistung bei den Schülern zugenommen haben." Doch warnt Gehmacher davor, Glück nun überall eiligst einzuführen: "Wenn, dann muss man es richtig machen. Dazu benötigt man aber auch das entsprechende Personal." Würden die Inhalte nicht wirklich akribisch überprüft, könnte das für die Schüler sogar kontraproduktiv sein. "Glück light", sagt er, "wäre die totale Enttäuschung."

Das meint auch Wolfgang Knörzer, Professor für Sportpädagogik und Leiter des Instituts für Alltags- und Bewegungskultur in Heidelberg. Er geht von der "Konsistenztheorie" aus, wonach der Mensch vier Grundbedürfnisse befriedigen muss, um glücklich zu sein: starke Bindungen, Orientierung und Kontrolle, Lustgewinn, Selbstwerterhöhung.

Knörzer wurde fündig: "Wir haben gegenüber der Kontrollklasse einen signifikanten Zuwachs an Vermeidungszielen entdeckt. Das war sehr spannend." Die Schüler im Glücksunterricht sind demnach im Laufe des Jahres sehr viel sensibler für ihre eigenen Bedürfnisse geworden. "Ihnen ist nun offenbar viel klarer geworden, was sie nicht wollen. Sie haben gelernt, sich selbst zu hinterfragen." Die Glücksgruppe gebe zudem häufiger an, die Situation im Griff zu haben oder sich selbst beherrschen zu können, sagt Knörzer.

Er sieht deshalb den Glücksunterricht auf einem guten Weg. Im zweiten Jahr müsse das neue Wissen um die eigenen Bedürfnisse nun in konkrete Ziele umgesetzt werden, empfiehlt er. Das wäre der nächste Schritt auf dem Weg zum Glück.

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10 Kommentare

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  • D
    Diogenes

    "Candide oder der Optimismus" - Voltaire

     

    zu diesem Esoterik-Glücks-Unterrichts-Käse kann ich nur das oben genannte Buch von Voltaire empfehlen.

     

    Diogenes

  • N
    nixglück

    Anmerkung zur Anmerkung der Redaktion:

     

    Dass es der selbe Autor ist, war mir auch klar.

     

    Und Mehrwegverwertung? Habe ich an sich nichts dagegen. Aber man muss, kann und sollte bekanntlich nicht alles wieder verwerten, wozu man die Gelegenheit hat.

     

    Ich habe schon Artikel gelesen von Leuten, denen man den Journalismus-Status nicht zuerkannt hätte (aufgrund ihres Alters z.B.) obwohl sie wesentlich besser, genauer und kritischer waren als es bspw. dieser Artikel hier ist.

     

    Ich habe sogar nicht einmal etwas gegen "Werbung". Aber wenn das, was da beworben wird, nun mal aufgrund vielfältiger Gründe sehr zweifelhaft ist - und die anderen Kommentare hier sehen das ja zum Teil ähnlich wie ich - dann habe ich sehr wohl etwas gegen diese Werbung: "Die fröhlichen Schüler von Heidelberg" - also bitte. Und:

     

    "Alles im Leben kann zum Glück beitragen, lautet die Botschaft. Am Ende bleibt nur eine Sache, an der es für Schüler hapern könnte: "Glück" ist ein Unterrichtsfach. Und das bedeutet: Es gibt Noten. Macht nichts, finden die Schüler. Einer sagt: "Ich habe das Fach doch gewählt, weil es mich interessiert. Glauben Sie, ich will eine Fünf in 'Glück'?""

     

    George Orwell hat schon vor rund 60 Jahren die Problematik der 'freiwilligen' Selbstunterwerfung literarisch verarbeitet und Momente wie der obige hätte Orwell sich dafür echt nicht besser ausdenken können. Umso interessanter und absurder ist es dann, wenn man George Orwells 1984 in der Schule lesen soll (oder irgend ein anderes der gesellschaftskritischeren Bücher, die einen ähnlichen Kontext aufspannen) oder LehrerInnen ihren SchülerInnen im Geschichtsunterricht vom Führerprinzip erzählen um anschließend ganz verlegen auf die Frage einer Schülerin reagieren zu müssen, ob die gegenwärtige Schule denn nicht doch sehr führerprinzipsmäßig organisiert sei und worin schulisch gesehen eigentlich der große, wichtige Unterschied zwischen damals und heute bestünde.

     

    Stattdessen rekuriert man in mythischen Erzählungen auf idealisierte Figuren, die quasi das Wissen an sich darstellen sollen. Ob die nun "Gott" oder Aristoteles heißen und die Folie der Glücksoffenbarung verheißen, ist dann auch schon fast egal. Repressiv können beide verarbeitet werden (und das werden sie auch). Wenn dann noch jemand dieses schlimme Spiel anpreisend publik macht, haben wir wieder ein Problem mehr. Und wenn das dann auch noch die Taz macht, haben wir wieder noch ein Problem mehr.

     

    Vielleicht hätte der Autor des Artikels auch mal auf die Idee kommen können, dass die Willy Hellpach Schule von der Initiative "Deutschland - Land der Ideen" ausgezeichnet ist, deren Partner wiederum solche tollen Unternehmen wie RWE, EnBW, Telekom, Deutsche Bank, Adidas, Bayer, BASF, E.ON usw. sind. Da wird einem auch viel klarer, was Glück so alles bedeuten kann. Und informativer wie kritischer wäre das auch.

  • N
    nixglück

    haha, ich hab gerade entdeckt, dass dieser repressionsaffirmative werbeartikel hier wiederverwertung eines extrem ähnlichen, umgeschriebenen artikels von spiegelonline ist:

     

    http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,505005,00.html

     

    faktisch betrachtet: einige teile sind wahrscheinlich pur erfunden, was sich z.b. an der abwandlung des schultischsspruchs erkennen lässt: aus "ich hasse mathe" wurde "schule ist scheiße".

     

    was für ein absolut miserabler werbejournalismus...

     

    ***Anmerkung der Redaktion: Die Ähnlichkeit der Artikel rührt ganz schlicht daher, dass es beide Male derselbe Autor ist. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ähnliche Geschichten mehrmals erscheinen. In solchen Fällen nicht brandaktueller Themen ist Mal das eine Medium schneller, mal das andere.

  • E
    ex-glueck

    ich kenne den schuldirektor schubert persönlich, war schließlich auf der schule dort und hatte auch einige "extragespräche" mit dem obermacker - und zwar nicht aus gewaltgründen meinerseits, sondern weil schubert meine offene linkspolitische (schul)kritik als bedrohung ansah, weswegen er versuchte, mich nett zu behandeln, quasi zu verfreundschaften, damit ich gut über ihn rede. und deswegen habe ich bei schuberts profilierungsambitionen, die dieser artikel transportiert und hypt, köstlich lachen müssen.

     

    das macht schubert sehr gerne: presseleute gut und nett behandeln, ihnen freundlich und offen gesinnt begegnen. das ist die herrschaftsstrategie, die er mag und die ich über 3 jahre lang mehrmals erlebt habe. auch die lokale rhein-neckar-zeitung nutzt schubert immer wieder, damit artikel wie dieser hier bei der taz erscheinen.

     

    aber die herrschaft tut ja bekanntlich so einiges, damit man sie anerkennt und nicht auf die idee kommt, die entscheidenden fragen zu stellen, zu revoltieren und endlich die schulen in deutschland (und nicht nur dort) zu demokratisieren. die bielefelder laborschule, montessori und waldorf sind nur geringfügig bessere scheinalternativen. es braucht endlich demokratische schulen wie die sudbury schools und sands schools u.a.:

    http://www.sudbury.de/

    http://de.democratic-schools.com/

     

    dann braucht es auch keine fächer wie "glück", die eigentlich vor allem die funktion erfüllen, mit dem leid, was junge menschen gesamtgesellschaftlich und besonders durch die schule institutionalisiert erfahren müssen, halbwegs umgehen (will sagen: verdrängen) zu können anstatt die vielfältige gewalt radikal abzuschaffen und zu bekämpfen: zunehmender leistungsdruck, repressionserfahrungen durch lehrerInnen, einseitig-idiotisches lehr/lernverhältnis, vorbereitung auf kapitalistische ausbeutung, illusion des teilzeitlernens, anwesenheitszwang (schulpflicht) usw. wären nur einige zu nennende kritik- und veränderungspunkte.

     

    das würde aber auch bedeuten, dass schubert - neben der gesamten lehrerschaft in ihren jeweils repressiven funktionen innerhalb des systems - seinen autoritativen chefsessel aufgeben müsste - und genau das will die herrschaft auf verschiedensten ebenen und formen nicht.

     

    bis es aber zunehmend dazu kommt, kann mensch sich ja außerschulisch bilden und emanzipatorische bildungskritik lernen (und natürlich auch - wie immer - kritisch hinterfragen):

     

    http://wiki.bildung-schadet-nicht.de/index.php/Fragend_voran_-_Thema:_Bildung/Frontpage

     

    wers komplexer und "universitärer" mag, kann auch pierre bourdieus "feine unterschiede" oder diverse poststrukturalistische pädagogikliteratur lesen...

     

    reclaim your school :-)

  • H
    hto

    Zitat von Sabine: "Es heißt eher, dass man entscheiden lernt, womit man nichts anfangen kann. Zum Beispiel mit verschwommenen Abstraktionen."

     

    "Anfangen / verschwommenen Abstraktionen" - müßte das nicht heißen: fraglos funktionieren lernt, in bis zur Unkenntlichkeit konfusionierten Illusionen, der stumpf- wie wahnsinnigen Hierarchie in materialistischer "Absicherung" ohne Geist / Sinn, Verstand und wahrhaftiger Vernunft ;-)???

  • MT
    Martin Thiele

    Jetzt wird auch noch Glück in eine 45 Minuten-Stunde gepackt. Mit "Bildung im ursprünglichen Sinn" hat das wenig zu tun, die lässt sich nämlich weder in Fächer unterteilen, noch geschieht diese aus dem Zwang von Schulpflicht heraus. Wenn wir mit unseren Schulen Glück fördern wollen, dann müssen wir aufhören sie wie überdimensionale Lernfabriken einzurichten. Wie es A. S. Neill so schön formuliert hat: Glücklich sein heißt am Leben interessiert sein. Erst wenn Schule das vermitteln kann, gehen glückliche Menschen aus ihr hervor. Das heißt aber, dass das Leben in die Schule und ihren Alltag Einzug halten muss. Wie das geht machen Schulen wie die Bielefelder Laborschule oder die Jenaplan-Schule vor. Das sollten unsere Vorbilder sein.

  • IN
    Ihr Name Regina Koll

    Schulfach ,,Glück finde ich gut"

  • FJ
    Franz Josef Neffe

    Hansi lernt in der Du-musst-Schule und QUÄLT sich dabei. Sein Gedächts kann nicht selektieren und speichert alles MIT QUAL. Bei jeder Erinnerung an das Gelernte wird er sein Leben lang der QUAL wiederbegegnen. Wie soll ein Mensch davon glpcklich werden?

    Toni lernt in der neuen Ich-kann-Schule alles mit Freude, ja er macht für Lernen keinen Finger krumm, ehe er sich nicht in den Zustand versetzt hat, in dem er es GERN wiedererinnern will. So kann sein Gedächtnis alles nur MIT FREUDE speichern. Und bei jeder Erinnerung begegnet er ein Leben lang dieser Freude und Freude und Frreude wieder. Was könnte das anderes sein als GLÜCK? Ich grüße herzlich.

    Franz Josef Neffe

  • S
    Sabine

    Es heißt eher, dass man entscheiden lernt, womit man nichts anfangen kann. Zum Beispiel mit verschwommenen Abstraktionen.

  • H
    hto

    Schulfach Glück - das paßt in eine bewußtseinsbetäubende Bildung zu systemrationaler Suppenkaspermentalität.