Bildgebende Verfahren: Blick ins Gehirn eines Kriminellen
Bildgebende Verfahren sind für einige Hirnforscher zum Orakel geworden. Sie wollen an Hand der Gehirnaktivitäten feststellen können, ob jemand zu kriminellem Verhalten neigt.
Yes, we scan. Das Motto, mit dem die Uniklinik Bonn im Netz eine Publikationsliste überschreibt, erinnert nicht zufällig an die Obama-Euphorie. Denn wie der US-Präsident versprechen auch einige Neurowissenschaftler "change" - durch Bilder vom menschlichen Gehirn. Aber die Methodik hinter vielen Ergebnissen ist umstritten.
Nur ein Blick auf ein Bild - und schon weiß der Arzt, was dem Patienten fehlt. Ist er vielleicht schizophren, pädophil, oder funktioniert sein Moralempfinden eher schlecht als recht?
Die Mediziner wissen immer mehr über unser Gehirn, Geräte wie dem Magnetresonanztomografen (MRT) liefern ihnen die Bilder dazu. Doch noch ist umstritten, was diese Bilder tatsächlich aussagen. So legt zum Beispiel eine Studie von dem US-Amerikaner Ed Vul, der am Massachusetts Institue of Technology arbeitet, ein statistisches Problem nahe. Vul hat mehrere Studien mit sogenannten bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomografie untersucht. Das Ergebnis: Statistisch gesehen ist es kaum möglich, dass die Wissenschaftler damit so viele Zusammenhänge zwischen Strukturen im Gehirn und dem menschlichen Verhalten finden.
Denn das ist es, was Forscher mit dem MRT und anderen Scan-Methoden versuchen: Sie wollen herausfinden, welche Gebiete im Gehirn bei diesem oder jenem Denkvorgang besonders benutzt werden. Manche Wissenschaftler wollen an Bildern vom Gehirn sogar ablesen, wo genau im Denkorgan Gefühle oder Moralempfinden liegen. Oder ob Abnormalitäten wie die Pädophilie einen Auslöser im Gehirn haben.
Professor Henrik Walter, Psychiater, Psychologe und Philosoph vom Universitätsklinikum Bonn, untersucht selbst mit dem MRT das Gehirn. "Die Kritik an der Häufigkeit von positiven Befunden stimmt teilweise, aber eben auch nicht komplett", sagt der Arzt. Die Übereinstimmungen zwischen Auffälligkeiten des Gehirns und der Persönlichkeit sind bei Krankheiten längst bekannt. "Interessant ist die Geschichte eines Patienten, der plötzlich eine Pädophilie entwickelte. Dann wurde ein Tumor in seinem Kopf entdeckt und operiert - die Neigung verschwand", berichtet Henrik Walter.
Natürlich habe nicht jeder Pädophile einen Tumor. "Aber fast jedes abnormale Verhalten kann von einer Störung im Gehirn verursacht werden, etwa Schizophrenie oder die Depression", so Walter. Allerdings hält auch Henrik Walter manche Befunde seines Forschungszweigs für überinterpretiert: "Bei den Versuchen von Haynes vom Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig etwa muss der Proband einen Zufallsgenerator simulieren", sagt Walter.
Die Experimente von John Dylan Haynes hatten international für Aufmerksamkeit gesorgt. Der Forscher hatte Probanden angewiesen, einen Knopf entweder mit der rechten oder mit der linken Hand zu drücken. Haynes sah sich dabei die Vorgänge im Gehirn an und kam zu dem Ergebnis, dass im Gehirn bereits unbewusste Prozesse ablaufen, bevor der Proband eine Entscheidung fällt. Danach konnte Haynes angeblich mit sechzigprozentiger Wahrscheinlichkeit anhand der Hirnaktivität voraussagen, mit welcher Hand ein Proband den Knopf drücken würde.
Solche Versuche werden immer wieder auf die Frage nach dem freien Willen zurückgeführt. "Es wird behauptet, da diese Experimente zeigen, dass es keinen Willen gibt. Sie können die Frage nach dem freien Willen aber nicht beantworten", sagt Henrik Walter.
Der Bonner Neurowissenschaftler sucht selbst nach Antworten auf die Frage, wie gut bestimmte Verhaltenstendenzen - die auch durch das Gehirn vorgegeben werden - kontrolliert werden können. Also zum Beispiel, ob ein Raucher seinem Gehirn beibringen kann, dass eine Zigarette keine Belohnung für ihn darstellt.
Der US-Forscher Kent Kiel versucht momentan, mithilfe der bildgebenden Verfahren einem größeren Problem auf die Schliche zu kommen. Auf seiner Tour durch die Gefängnisse der USA legt er hunderte von psychopathischen Schwerverbrechern unter ein MRT.
Damit will er herauszufinden, welcher Teil des Gehirns bei allen geschädigt ist. Kein anderer Arzt hat bisher unter einer solchen Fragestellung derart viele Menschen untersucht.
Bisher allerdings seien viele der Versuche, mit Bildern des Gehirns mehr über den Menschen zu lernen, überschätzt worden, sagt der Psychologieprofessor Fritz Strack von der Universität Würzburg. "Ich halte viele der Methoden für eher bedenklich. Die Hirnforscher legen zum Beispiel erst hinterher fest, welche Areale des Gehirns sie untersuchen. Das ist so, als ob jemand blind schießt, danach die Zielscheibe aufstellt und sich freut, ins Schwarze getroffen zu haben", sagt Strack. Sein Blick auf die Verfahren käme natürlich von außen, schränkt er jedoch noch ein.
Die Kritik, dass die Ergebnisse der bildgebenden Verfahren auch immer interpretationsfähig seien, kommt allerdings immer wieder auf. "Sogar in der Atomphysik kann man Dinge interpretieren", sagt dazu Psychiater Henrik Walter. Psychologe Fritz Strack sieht die Interpretationsmöglichkeiten dennoch kritisch: "Man schiebt momentan viel zu häufig die Menschen in den Scanner, und egal was dabei herauskommt, es wird irgendwie interpretiert. Wir können bestimmt noch einiges über das Gehirn lernen, aber weniger über die mentalen Prozesse. Da bin ich skeptisch."
Skepsis zeigen auch viele Philosophen in Bezug auf MRT-Bilder. Denn einige Hirnforscher ziehen den freien Willen in Zweifel oder negieren ihn gar ganz.
Der Philosoph Ansgar Beckermann, der an der Universität Bielefeld lehrt, sieht in der Lokalisierung von Charaktereigenschaften in Gehirn keinen Widerspruch zur freien Entscheidungsmöglichkeit: "Alles, was wir denken und fühlen, hat eine Basis in unserem Gehirn." Letztendlich liege die Verantwortung aber beim Menschen.
"Ich halte es für denkbar, dass man in Zukunft herausfinden kann, ob es im Gehirn eine Veranlagung für Pädophilie gibt", sagt Beckermann: "Daraus folgt aber nichts, was die Verantwortlichkeit von Menschen angeht. Die Frage ist, wie eine Person mit der Veranlagung umgeht."
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