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Archiv-Artikel

Bilderbücher für den Kaffeetisch

FOTOWELTEN Ein Coffee Table Book ist ein wunderbares, überflüssiges Weihnachtsgeschenk

Das New-York-Gefühl im schwerwiegenden Großformat

Um mit New York Schritt zu halten, müsste man die Texte mit Lichtgeschwindigkeit veröffentlichen“, schreibt der Journalist E. B. White. Das versucht er erst gar nicht, und so leitet sein bereits 66 Jahre alter Text den Fotoband von Horst Hamann, „Absolute New York“, ein. Schon 1948 schrieb White: „Die subtilste Veränderung in New York betrifft etwas, über das die Menschen nicht gerne sprechen, das aber in jedem Kopf steckt. Die Stadt ist, zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte, zerstörbar. Ein einziges Flugzeug […] kann diesen Inseltraum blitzschnell zerstören, die Türme niederbrennen.“

Die Türme des WTC sieht man auch auf Hamanns Bildern. „Absolute New York“ zeigt Hamanns fotografische Arbeiten von 1978 bis 2014. Ein Porträt der Stadt, ihrer Menschen, Straßenschluchten, ihres Lifestyles. Viele gute Fotografien auf fast 400 Seiten Großformat: die Vielfalt New Yorks als bunter Strauß auf Hochglanz gebannt.

Ein Coffee Table Book für höchste Ansprüche. Eine schwere Zierde für jedes strapazierbare Bücherregal und ein vorzeigbares Bilderbuch mit Aha-Effekt. Vieles, was zu sehen ist, wird der New-York-Besucher wiedererkennen. „Über der Stadt liegt der unauslöschliche Geruch ihrer ganzen Vergangenheit, und egal wo man sich in New York aufhält, die Erinnerung an großartige Zeiten und große Taten, an sonderbare Käuze, an großartige Ereignisse und Unternehmungen sind nahezu körperlich spürbar“, schreibt White. Die Stadt verändert sich, ihr Mythos lebt: in Hamanns anspruchsvollen Fotografien und in unseren Köpfen.

Horst Hamann: „Absolute New York“. Edition Panorama, Berlin 2014, 400 Seiten, 98 Euro

Die Modernität und die Platte in den Ecken von Berlin

Es ist ein Leichtgewicht unter den Fotobüchern, dafür unaufdringlich, aber vor allem: es ist ein interessantes und gutes Buch. „Berlin Berlin“ von Thorsten Klapsch fängt Bilder aus der immer wieder zitierten „Hauptstadt der Veränderung“ seit dem Mauerfall ein. Ost- und West-Berlin wuchsen zusammen und Klapsch wurde zum Chronisten und Dokumentaristen dieses Übergangs.

Er zeigt die nicht so offensichtlichen Ecken und Winkel der Stadt. Beispielsweise wenn er das Innere des inzwischen abgerissenen Palasts der Republik einfängt oder die ehemaligen Grenzbauten am Grenzübergang Drewitz. Es sind Bilder von Orten, meist ohne Menschen fotografiert, was sie zur leeren Bühne macht, die manchmal wie die Bilder des Grenzübergangs auch beklemmend ist.

Im wiedervereinten Berlin trat der Westen seine Bedeutung vorübergehend an neue In-Viertel im Osten wie die Friedrichstraße oder den Potsdamer Platz ab. Klapsch zeigt den heute aufwendig renovierten Zoopalast, wo einst Gina Lollobrigida und Sophia Loren zu den Berliner Filmfestspielen über den roten Teppich schritten, in seiner neuen Pracht und alten Modernität. Bauhaus, neue Sachlichkeit, funktionale DDR-Architektur sind die Themen. Wenn Klapsch das Doppelhochhaus in der Marchwitzastraße 1–3 in Marzahn außen und innen beleuchtet, erzählt er die Geschichte der Platte und ihres Lebensgefühls. Begleitet werden die Fotografien von erklärenden Texten auf Deutsch und Englisch.

Thorsten Klapsch: „Berlin Berlin“. Mit einem Vorwort von Christian Schröder und Texten von Andreas Schenk. Edition Panorama, Berlin 2014, 352 Seiten, 29,80 Euro

VON EDITH KRESTA

Ethno-Kitsch vom Feinsten

Es sind großformatige Bilder, fast ausschließlich Porträts von einzelnen Personen, von Frauen, Kindern, Männern. Schöne Gesichter, nackte Brüste, ernste Mienen. Inszenierte Fotos mit Bemalung, Schmuck, den Blick fast immer direkt in die Kamera gerichtet und vor archaisch wirkender Landschaft. Das untere Tal des Flusses Omo im Südwesten Äthiopiens ist Unesco-Weltkulturerbe. Eine abgelegene Region, in der sich vielfältige Kulturen bis heute erhalten haben. Am Fluss leben die Stämme der Karo, Mursi oder Hamer, mit ihren jahrhundertealten Ritualen und Stammesstrukturen. Ken Hermann präsentiert die Schönheit, aber vor allem die Exotik und Besonderheit der Menschen und ihrer Landschaft. Fotos von hoher Qualität, die leicht überhöht wirken, wie einst das gestellte Familienbild unter der Palme im Fotostudio. Hermanns Blick ist ausschließlich auf das Schöne, Würdevolle gerichtet. Das fasziniert und wirkt gleichzeitig verkitscht. Geerdet werden die Bilder durch die Texte von Suzette Frovin über die Situation der Menschen im Omo-Tal. Deren Existenz ist seit Jahren durch ein Staudammprojekt der äthiopischen Regierung bedroht.

Ken Hermann: „Im Tal des Omo. Die Wiege der Menschheit“. Text von Suzette Frovin. Edition Panorama, Berlin 2014, 231 Seiten, 45 Euro

Die Bison-Parabel

Der Bison ist für uns ein Sinnbild. Wir sind der festen Überzeugung, dass es Orte geben muss, wo archaische Kreaturen frei leben können. Nur eine Welt, in der das möglich ist, ist eine lebenswerte Welt“, schreiben Heidi und Hans-Jürgen Koch im Vorwort ihres Fotobuches „Buffalo Ballad“. Sie sind durch North und South Dakota, Wyoming, Colorado und Montana gereist, quer durch ehemaliges Bisonland.

Der Bison wurde gejagt und ausgerottet: nur ein paar geschäftstüchtige Ranger retteten das spirituelle Tier der Indianer. Sie fingen die letzten wilden Bisons, ums sie teuer zu verkaufen. 1902 gab es noch 23 frei lebende Bisons in der Wildnis des Yellowstone-Nationalparks. Theodore Roosevelt schickte die Kavallerie, um die Letzten ihrer Art zu schützen. Jetzt gibt es ein Projekt, das die Bisons wieder ansiedeln will in der Hoffnung, dass auch die Prärie zurückkehrt. Aus ausgelaugtem Farmland soll wieder Grasland werden. Die Fotos zeigen die einsame Landschaft, verfallene Farmen, aber vor allem die Dynamik, Schönheit und Verletzlichkeit der Tiere. Das Buch ist eine Spurensuche in Schwarz-Weiß. Es erhielt die Auszeichnung „Deutscher Fotobuchpreis Gold 2015“.

Heidi u. Hans Jürgen Koch: „Buffalo Ballad: On the Trail of an American Icon“. Edition Lammerhuber, Wien 2014, 208 Seiten, 99 Euro

Sie sind allemal repräsentativer als die leeren Bücherrücken im Regal, die die Bertelsmann Bibliothek der 70er Jahre mit Werken der Weltliteratur vervollständigten. Sie sind großformatig, verschwenderisch, imposant: die üppigen Bildbände, sogenannte Coffee Table Books. Ein Coffee Table Book ist ein Buch zum Durchblättern: Hardcover, Hochglanz, stylisch aufgemacht, groß, protzig, schwer. Meist so schwer, dass man damit jemanden erschlagen könnte. Dabei liegt ein Coffee Table Book eigentlich nur so rum: friedlich und äußerst dekorativ am Kaffeetisch. Ein Buch zum Anschauen, Bewundern. Es soll die Gäste unterhalten oder eine ins Stocken geratene Unterhaltung auffangen. Die Seiten eines Coffee Table Book bestehen fast nur aus Fotografie, die Textpassagen sind kurz, kürzer, am kürzesten. Es will in die Hand genommen werden und mit seiner Ästhetik punkten, ohne schwer mit Inhalten daherzukommen.

Wie es einmal war

Jaroslav Poncar war der erste Europäer, der Tibet 1985 von Ost nach West, von Chengdu nach Kashgar durchquert hat. Seine auf vier Reisen zwischen 1985 und 1993 entstandenen Tibet-Fotografien sind inzwischen historische Dokumente. Auch Tibet wurde modernisiert. Poncars Buch zeigt Porträts von Menschen, einsame Landschaften und Dörfer. Es erzählt von aufwendigen Reisen jenseits touristischer Infrastruktur und von unberührter Natur. Es zeigt das Tibet unserer Vorstellungskraft.

Textlich begleitet werden seine Bilder von dem Asienexperten John Keay. „Wir schätzen Tibet, weil es unsere vorgefassten Meinungen erschüttert“, schreibt er. „Das Überleben dieser liebenswerten Gesellschaft und die Erhaltung dieser kompromisslosen Landschaft werden zu den großen Aufgaben unserer Gegenwart gezählt und sind Gegenstand internationalen Interesses.“ Inzwischen wurden auch in Tibet die Straßen asphaltiert, die Orte verändert, das Leben beschleunigt. Tibet ist längst viele Kompromisse eingegangen. Schön, dass seine Geschichte zu sehen ist.

Jaroslav Poncar: „Tibet. Ein Blick zurück“. Edition Panorama, Berlin 2014, 320 Seiten, 78 Euro

Coffee Table Books sind Appetizer, Pausenfüller. Und sie sind Fetisch. Ein Aushängeschild des Eigentümers, ein Indikator für dessen Bildung, Interessen und Geschmack: Most sophisticated gibt sich der Kunstband-Sammler, der gar nichts mit einem Fotoband der Pop-Ikone Madonna anfangen könnte. Gleich danach kommt der Weltensammler mit Fotobänden über anderen Kulturen, Ethnien oder Städte. Ebenbürtig sind Architektur-, Porträt- und Modefotografie. Berücksichtigt man diese sozialen Zuschreibungen der schönen Bücher, so eignen sie sich hervorragend als unverfängliches, eindrucksvolles, überflüssiges Weihnachtsgeschenk. Wir präsentieren fünf Neuerscheinungen für Weltensammler unterm Weihnachtsbaum.