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Bild- und Fotoband "Gothic" und "New Wave"So schön dunkel

Wave-Gothic war nie nur eine Ansammlung "schräger Vögel" und nie nur eine vorübergehende Jugendbewegung. Die Vielfalt der Subkultur verdient eine reflektierte Würdigung.

Sometimes happy, sometimes sad, etwas zum Mitaltern und schon lange nicht mehr nur eine Jugendbewegung: Wave-Gothic-Fans in Leipzig. Bild: dpa

Seit Mitte der 1990er bereits totgesagt, spukt die schwarze Szene weiter durch die Clubs und Friedhöfe europäischer Großstädte und scheint doch immer neue Konvertiten zu finden. Viele der frühen Anhänger der Szene sind jetzt in einem Alter, in der ein erster Lebensrückblick angemessen erscheint. Der Foto- und Textband Schillerndes Dunkel, herausgegeben von Alexander Nym beim Leipziger Plöttner Verlag (2010), versammelt 56 Textbeiträge zum Thema "Gothic". Darunter finden sich Erinnerungsberichte von bekannten DJs und Musikern, sowie Texte von mittlerweile zu Musik- und Kulturwissenschaftlern avancierten "Ex-Goths".

Die Auswahl der Fotos und Texte reflektiert die Vielfalt an Themen, die für die Bewegung konstitutiv waren und immer noch sind. Trotz des breiten Spektrums gelingt Alexander Nym eine repräsentative Auswahl der innovativsten und originellen Impulsgeber. Portraits von Avantgarde-Bands der frühen 80er Jahre (Bauhaus, Siouxsie and the Banshees, Joy Division, Throbbing Gristle, Laibach u.a.) werden ergänzt durch biographische Notizen bekannter Musiker (z.B. Genesis P-Orridge von Throbbing Gristle und Psychic TV, Oliver St. Lingam von Phallus Dei).

Verschiedene Autoren analysieren die vielgeschmähte Nische "Neofolk". Daraus ergibt sich ein differen zierteres Bild dieser Richtung, die oft zurecht ins politische Kreuzfeuer geraten ist und der gesamten schwarzen Szene immer wieder Ärger einhandelte. Kulturwissenschaftliche Beiträge zu zentralen Themen wie Okkultismus, Magie, Fetischismus, und die "Faszination Friedhof" machen deutlich, dass es sich hier um eine Subkultur der besonderen Art handelt. Wie kaum eine andere "Jugendszene" lebt (bzw. badet) sie die verdrängten und tabuisierten Themen der westlichen und christlich geprägten Konsum- und Spaßgesellschaft aus.

Das Buch

Alexander Nym (Hg.). Schillerndes Dunkel. Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene. Plöttner, 2010. 432 Seiten, 68 Euro. (ISBN-13: 978386211006, ISBN-10: 3862110060)

Alle Autoren kennen die Szene aus gelebter Erfahrung. Das schadet dem Buch nicht: jeder, der sich zu einer Außenseiter-Szene bekennt, muss schließlich immer den Blick der "Anderen" mitreflektieren und in sein Weltbild integrieren. Diskriminierungserfahrungen sind fester Bestandteil im Leben vieler Gothics. Dabei scheint die aufwändige Selbstinszenierung eher eine Folgeerscheinung zu sein. Leiden die Hyper-Sensiblen doch häufig auf ihre ganz eigene und unerkannte Weise unter den (u.a. ästhetischen) Grobheiten der kapitalistischen Konsum- und Konkurrenz-Gesellschaft.

Diese wenig diskutierte Grund-Disposition wird in einigen Berichten hervorgehoben. Nicht selten sind es die Sensiblen, Begabten und Übersinnlichen, die in der schwarzromantischen Parallelwelt Zuflucht suchen. Nichts Neues eigentlich: auch der englische Feingeist und Dichter Percy B. Shelley verschlang in seiner Jugend Schauerromane (englisch: Gothic Novels). Christopher Isherwood flüchtete sich in jungen Jahren in eine gotische Schloss-Fantasie, um das Leben im Internat zu ertragen. Seine Homosexualität konnte er erst im selbst gewählten Exil Berlin wirklich ausleben.

Obwohl die Gothic-Szene sich nicht durch politischen Aktionismus auszeichnet, war sie doch immer politisch im Sinne einer radikalen Verweigerungshaltung. Das erklärt vielleicht auch die verhältnismäßig hohe Anzahl von "Gruftis" in der ehemaligen DDR, in der Widerstand durch Verweigerung ein vertrauter Umgang mit der ungeliebten politischen Realität war. DJ Orloeg erzählt vom modischen Erfindungsreichtum vor der Wende in Ostberlin: man schneiderte und färbte selbst oder kaufte seine Garderobe beim Bestattungsunternehmen. Auf die kreativen Anfänge folgte jedoch die Zersetzung einer ursprünglich homogenen Gruppe durch den Staatssicherheitsdienst.

Die grafische Gestaltung des Bandes hebt sich auffällig von den Gothic-Magazinen, die man an den Zeitungskiosken findet, ab. Fast durchgehend in schwarz-weiß oder schwarz-silber gehalten, verzichtet das Buch auf die mittlerweile zum Klischee verkommene Gothic-Kommerz-Fetisch-Ästhetik. Anstelle narzisstischer Selbstdarstellungen sind auf den meisten Fotos massenhaft toupierte Haare und Grufti-Grüppchen der alten Garde zu sehen, die das starke Zusammengehörigkeitsgefühl der Frühphase dokumentieren. Die kommerzielle Richtung, die die einstige Underground-Bewegung mittlerweile genommen hat, wird im Buch immer wieder thematisiert und kritisiert. Schillerndes Dunkel erinnert (und gemahnt subtil) an die Gründungs-Impulse einer postromantischen Gegenkultur. Fazit: Das perfekte Weihnachtsgeschenk für das schwarze Schaf in Ihrer Familie.

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12 Kommentare

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  • TR
    thomas reschenried

    an WATMUT D.

     

    also ick hab mit gothic außer depech mode nix am hut.

    aber der nym ist eine lichtgestalt in person...

     

    ick hab mir dett buch jekoft, nach na lesung im belas cafe

  • N
    Nekromiko

    Komisch, der Kommentar vom Maulwurf könnte wortgleich auch von mir stammen ;-)

     

    Gestern war ich noch auf einem Konzert von ASP in der Wuppertaler Stadthalle - super!

     

    Gothik hat schon manch andere Musik- und Stilrichtung überlebt, also schein es -allen Kritikern zum trotz- so wohl richtig zu laufen...

  • VD
    Van der Graaf Generator

    Wie fast jede Subkultur hat auch die Gothic-Szene ihre Dogmen, Regeln und Bekleidungsforschriften... aus dem Bestreben sich von der "normalen Masse" abzuheben uniformieren sie sich untereinander erst recht... nichts für echte Individualisten...

  • E
    Entity

    Seltsam unpassendes Symbolfoto. Es scheint sich allerdings um ein ausgesprochen interessantes und überraschend reflektiertes Buch zu handeln, das ich mir sicherlich mal anschauen werde.

  • N
    Nikopol

    das bin ja ich :O

  • M
    Martin

    Punk never dies !!!!!

  • B
    babam

    ich nehme jetzt mal diesen satz:

    "gothic ist fasching in schwarz. die lust am verkleiden, bekleckert mit einer düster kitschigen bedeutungssoße, für leute, die sonst keine probleme haben." und stelle ihn um.

     

    hiphop ist fasching in bunt.die lust am hände-wedeln, bekleckert mit prollig-dummer bedeutungssoße, für leute die sonst keine probleme haben.

     

    coool, kann man auf alles anwenden was nicht in die eigenen schubladen passt ;)

    kann doch jeder so wie er will.

  • H
    Hyper_Sensitive

    hier noch der link zum buch. für miesepetrige klugschnacker wie @watmut und @weil mal die - wahrscheinlich seltene - chance sich ihrer ziemlich platten vorurteile zu entledigen - es geht und ging auch immer um bspw. sexuelle selbstbestimmung und die einbindung von kunst in den alltag.

     

    http://www.schillerndesdunkel.de/Schillerndes_Dunkel/Inhalt.html#6

  • WB
    weil baum

    ach komm ... gothic ist fasching in schwarz. die lust am verkleiden, bekleckert mit einer düster kitschigen bedeutungssoße, für leute, die sonst keine probleme haben.

     

    de facto handelt es sich um ein perfektes binnenkonsens-spießertum.

  • S
    Siouxsie_theblackSheep

    oh, was waren wir schön...

     

    vielen dank für den tipp! was wohl für alle jugendbewegungen gilt, war natürlich auch für die punk-, postpunk und newwave-bewegung ein ausschlaggebender faktor zum zusammenfinden von gleichgestrickten: klassenunterschiede spiel(t)en praktisch keine rolle - utopisch, fantastisch, ver-rückt!

  • M
    Maulwurf

    Danke für den guten Tipp! Ich bin fast 45 Jahre alt, beruflich in zivilisierten Bahnen gelandet und höre seit mittlerweile fast 30 Jahren schwarze Musik.

     

    Auch wenn ich mit der Kommerzialisierung und dem Modedenken der jüngeren Goths nicht mehr viel anfangen kann, fühle ich mich der Szene nach wie vor zugehörig, und seltsamerweise läuft daheim auch hauptsächlich Düstermucke der verschiedensten Richtungen. Ich schätze mal, dass sich auch die nächsten 30 jahre da nicht soooo viel ändern wird. Schön zu wissen, dass es auch andere gibt, denen es so geht!

  • WD
    Watmut D.

    Neulich der Bericht über "Witch House", jetzt die Würdigung der Grufties, hat sich die TAZ der Dunklen Seite verschrieben ?

     

    Die meisten amüsieren sich wohl drüber, aber ich find's weder lustig noch angenehm, diese Art der Propaganda.