Bilanz für Umweltbundesamt: Die Zukunft der Trogisten
Andreas Troge ist es gelungen, das Umweltbundesamt als Instanz zu etablieren. Am Dienstag ist sein Abschied. Wohin steuert die wichtigste Umweltbehörde der Republik?
Es war in Rostock, auf dem Bauerntag. UBA-Präsident Andreas Troge saß ganz außen. Blauer Anzug, weißes Hemd, gestreifte Krawatte. Wie ein "Öko" hat er - zum Glück - nie ausgesehen. Bauernführer Sonnleitner giftet vorn am Rednerpult gegen das Umweltbundesamt, gegen die "Spione" der Behörde, die sich "heimlich auf unsere Äcker schleichen", um die braven Bauern als Giftspritzer zu überführen.
Breitseite auf Breitseite rollt gegen den "ganzen überzogenen Umweltzirkus". Gerd Sonnleitner ist schwer in Fahrt, Beifallsstürme von der feixenden Meute. Troge zuckt nicht, lässt die Tiraden abperlen wie ein Landregen am frisch polierten Autolack. Würde jetzt das Hallendach einstürzen, er bliebe sitzen, kerzengerade. Natürlich ärgert ihn Sonnleitners Kritik, aber sie beeindruckt ihn nicht.
Besuche beim Feind hat der Chef des Umweltbundesamtes regelmäßig gepflegt. "Man kann nur gegen den Wind aufsteigen!" 14 Jahre lang hat Troge die wichtigste Umweltbehörde der Republik gelenkt. Morgen wird er mit kleinem Bahnhof von Umweltminister Gabriel und seinen 1.400 Mitarbeitern verabschiedet. Nach schwerer neurologischer Erkrankung räumt Troge mit 58 Jahren vorzeitig den Präsidentenstuhl.
Wer wird Nachfolger von Andreas Troge als Präsident des Umweltbundesamts? Die Besetzung der umweltpolitischen Schlüsselposition fällt zwei Monate vor der Bundestagswahl mitten in die heiße Wahlkampfphase. Dennoch haben sich, wie zu erfahren war, Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und die BMU-Spitze auf einen Kandidaten verständigt: Jochen Flasbarth (47), elf Jahre lang Präsident des Naturschutzbundes Nabu und seit 2003 Abteilungsleiter Naturschutz im Bundesumweltministerium, ist offenbar als Kandidat ausgewählt worden.
Die Berufung muss allerdings von Kabinett und Kanzleramt bestätigt werden. Daran glaubt gegenwärtig kaum jemand. Auch im Unionslager rechnet man fest damit, dass die Besetzung bis nach dem Wahltermin verschoben werden kann. "Wir wünschen uns einen engagierten Kandidaten, der genauso klar und prononciert für die Umwelt eintritt, wie Herr Troge das getan hat", erklärte am Freitag der umweltpolitische Sprecher der CDU, Josef Göppel, sibyllinisch.
Andererseits muss die große Koalition noch zwei Monate lang weiterregieren, und sie muss in dieser Zeit auch Entscheidungen treffen. Da ist es nicht falsch, wenn die SPD einen Kandidaten in petto hat, den sie notfalls gegen Zugeständnisse auf einem anderen politischen Feld eintauschen kann. Und auch bei einer Neuauflage der großen Koalition - falls sich die SPD doch noch erholt - wäre es gut, schon vor den Koalitionsverhandlungen einen Kandidaten für den Präsidentenstuhl zu haben. So ganz unbesetzt ist der allerdings nicht. Wegen der langen Krankheit Troges hat dessen Stellvertreter Thomas Holzmann das Amt über Monate kommissarisch geführt und wird dies auch weiter tun.
Für die Union vergrößert der frei gewordene Präsidentenstuhl im Umweltbundesamt die politische Rangiermasse nach der Wahl. Gewinnt Schwarz-Gelb im September, könnte der Posten - nach alter Tradition - auch mit einem FDP-Mann besetzt werden. Die Wirtschaftsliberalen erinnern gerne daran, dass ihr Oldie Hans-Dietrich Genscher das UBA 1974 gegründet und mit dem Liberalen Freiherr von Lersner besetzt hatte.
Bleibt Jochen Flasbarth also nur ein Name, der zwischenzeitlich gehandelt wurde? Der diplomierte Volkswirt war während der rot-grünen Ära vom damaligen Umweltminister Jürgen Trittin ins Amt geholt worden. Zuvor hatte er als Nabu-Präsident erstaunliche Erfolge erzielt und den eher betulichen Verband kräftig politisiert und bekannt gemacht. Um den "Gummistiefel-Naturschützer" und "Medienmenschen" war es in den letzten Jahren ruhiger geworden. Im Schatten von Minister Gabriel und Staatssekretär Machnig fällt es allerdings auch politischen Talenten schwer, sich zu profilieren. MAN
Das bedauern all jene, die 1995 bei seiner Ernennung noch die Hände über dem Kopf zusammenschlugen. Ein Umweltökonom, ein CDUler und ein Ex-BDI-Knecht, das konnte nur schiefgehen. Ging es aber nicht. Rainer Baake, heute Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, war als grüner Staatssekretär sieben Jahre lang Dienstvorgesetzter des UBA-Chefs. Seine Bilanz: "Troge war ein Glücksfall für das Umweltbundesamt, hoch kompetent und souverän. Einerseits stets loyal gegenüber den wechselnden politischen Führungen des Umweltministeriums, andererseits eine unerschrockene, unabhängige Stimme, wenn es um Fachfragen der Umwelt ging."
Troge ist es gelungen, das Umweltbundesamt auf Kurs zu halten und als Instanz zu etablieren, als eine Art ökologisches Frühwarnsystem. Von den drei großen Behörden des Umweltministeriums - neben dem UBA sind das die beiden Bundesämter für Strahlenschutz und Naturschutz - hat sein Amt die größte Bedeutung und den größten Freiraum. Neue Themen auf die Tagesordnung setzen, eigene Forschungsprojekte anschieben, den gesellschaftlichen Diskurs antreiben. Das alles steht jetzt auf dem Spiel, wenn nach Troges Abgang die Neubesetzung in die Mühlen politischer Rangierübungen geraten sollte.
Bleibt das UBA, so fragen sich die Mitarbeiter in Dessau, ein ökologischer Thinktank, eine offene Behörde, die es Journalisten ermöglicht, mit den Fachleuten der Abteilungen direkt zu reden? Wird es auch künftig möglich sein, Positionen zu vertreten, die nicht linientreu sind? Oder bekommen wir ein Umweltverwaltungsamt, das Umweltgesetze vorbereitet und vollzieht und im Hintergrund als graue Maus leise die Politik berät? Troge konnte es nicht verhindern, dass die Behörde immer mehr Vollzugsaufgaben bekam, während gleichzeitig Personal abgebaut wurde.
Aber er hat Ansehen und Freiheit des Amtes weitgehend bewahrt. Vor allem hat er sich nicht von der CDU vereinnahmen lassen, obwohl Schäuble und Merkel dies nach Kräften versucht haben. Troges beharrliche Ablehnung der Atomkraft hat die Union genauso gewurmt wie seine Vorstöße zum Tempolimit. Da konnte er schon mal grüner sein als die Grünen und sich dafür aussprechen, dass die Bundesrepublik als letztes zivilisiertes Land auf die Bremse tritt. Er wusste, dass es aussichtslos war, aber er wusste auch, dass seine Forderung richtig war.
Trotzdem: Troge ist kein Kohlhaas. Weitgehende Änderungen von Lebensstil und Konsummustern etwa, die viele Ökologen für notwendig halten, hat er den Deutschen nie verordnet. "Ich will nicht der Verzichtsonkel sein", hieß seine Direktive. Aber ein gutes Vorbild: Als Ende der 90er-Jahre ein neuer Dienstwagen angeschafft wurde, verzichtete er auf die dicke Limousine und stieg in einen Golf, das deutsche Normalauto für den Facharbeiter von nebenan. Später gönnte er sich einen Passat. Da tobte gerade die Debatte um den Dieselrußfilter. Die VW-Konzernzentrale hatte kundgetan, dass eine Umrüstung ihrer Modelle technisch vollkommen unmöglich sei, als Troge mit seinem frisch nachgerüsteten Passat mit neuem Partikelrußfilter vorfuhr. Ganz Wolfsburg jaulte. Verkehrspolitik war ihm wichtig.
Dass er mit seinem gefürchtetem Detailwissen knietief in den Fakten steckte, über Ressourcenprobleme, Verkehrslärm, Nanotechnik oder Hormonrückstände im Trinkwasser auch ohne Sprechzettel reden konnte, zeigt eine andere Facette des UBA-Präsidenten: den peniblen Fachmann, der die ganze Breite des Amtes inhaltlich repräsentierte. Und der gerne nachts um zwei Uhr E-Mails an seine Leute verschickte - inklusive Rechtschreibkorrekturen. So galt er in seinem Dessauer Amt nicht nur als Frankenweinliebhaber, Chilijunkie, Preuße und Arbeitstier, sondern auch als Deutschlehrer und Überzeugungstäter, nebenbei war er Professor für Umweltökonomie in Bayreuth. Wenn spätabends UBA-Leute beim Bier zusammensaßen, hieß die Parole: "Wir sind doch alle Trogisten!" Was hat er inhaltlich angeschoben? Dass Ökologie die bessere Ökonomie ist, dass wir eine ökologische Industriepolitik brauchen, dass die Umwelt Jobmotor ist und Zukunftsmärkte grün sind, hat nicht Gabriel erfunden. Es war zuvor schon Troges Ding. Klima war natürlich Dauerthema, hier hat Troge frühzeitig die wenig populäre Anpassung an die Klimaänderung betont. Gesundheit und Umwelt war ein anderes Lieblingsthema des Präsidenten.
Dessau! Den Umzug in die ostdeutsche Provinz konnte er nicht verhindern, obwohl er wusste, dass das Amt an Einfluss verliert. Er habe sich bei den Verhinderungsversuchen nicht besonders geschickt angestellt, heißt es. Da kam ihm ein anderer Charakterzug in die Quere: seine Loyalität. Er konnte mit Trittin, aber auch mit Merkel und Gabriel. Die nahe liegende Arbeitsteilung - den UBA-Präsidenten als Öko-Wadlbeißer und Mann fürs Grobe vorzuschicken, um dann als Minister abgefederte Positionen leichter durchsetzen zu können - hat es aber nie gegeben. Dazu war Troge zu nobel und zu ehrlich. Er war kein Machtmensch. Er war ein Guter. "Armer Nachfolger", sagt Rainer Baake, "die Latte liegt hoch."
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