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Big Brother AwardSchäuble erhält Preis für Lebenswerk

Das Berliner Organisationskomitee der Leichtathletik-WM gewinnt den Big Brother Award für seine Überprüfung von Journalisten. Weitere Preise gehen an Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen.

Schon fürs Lebenswerk ausgezeichnet: Innenminister Wolfgang Schäuble. Bild: dpa

BERLIN taz | Ein Preis für sein Lebenswerk, damit hatte Wolfgang Schäuble wohl noch nicht gerechnet. Freuen wird er sich kaum, die Auszeichnung ist nicht als Kompliment gemeint: Die Jury der Big Brother Awards ehrte damit seine "obsessiven Bestrebungen, den demokratischen Rechtsstaat in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat zu verwandeln", wie es in der Begründung heißt.

Am gestrigen Freitag fand zum zehnten Mal die jährliche Verleihung der Big Brother Awards statt. Die achtköpfige Jury suchte dafür in fünf Kategorien nach Behörden, Unternehmen und Personen, die sich in diesem Jahr besonders durch Einschränkung der Freiheit hervorgetan haben. Hinter der Preisverleihung steckt der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD). Unterstützt wird er von anderen Bürgerrechtsgruppen, darunter sind die Deutsche Vereinigung für Datenschutz, die Internationale Liga für Menschenrechte, der Chaos Computer Club und die Humanistische Union.

In der Kategorie Sport bekam das Berliner Organisationskomitee (BOC) der Leichtathletik-WM sein Fett weg. Grund war, dass das BOC für das diesjährige Sportereignis nur Journalisten akkreditierte, die einwilligten, ihre persönlichen Daten vom Berliner Landeskriminalamt (LKA) einer Zuverlässigkeitsprüfung unterziehen zu lassen. Das LKA fragte dafür mehrere Datenbanken ab, darunter die Datei "Gewalttäter Sport" und die bundesweite Staatsschutzdatei Inpol-neu.

Außerdem fragte das LKA bei der Verfassungsschutzbehörde des Landes Berlin an, auch der Bundesnachrichtendienst war eingebunden. Die zwei Sportredakteure der taz hatten sich geweigert, sich derart überprüfen zu lassen. Sie erhielten deswegen keine Akkreditierung. Die taz boykottierte daraufhin die Leichtathletik-WM, um auf die Gefahr für die Pressefreiheit hinzuweisen.

Bundesinnenminister Schäuble stand 2007 schon einmal als möglicher Preisträger zur Debatte. Damals hatte die Jury davon abgesehen, ihm den Preis zu verleihen, um den Blick nicht auf ihn zu beschränken, erklärt Rolf Gössner, Mitglied der Jury. Der Anwalt und Publizist ist Vertreter der Internationalen Liga für Menschenrechte. "Tatsächlich sehen wir ,Schäuble' nur als Metapher für die verhängnisvolle Tendenz einer ,Terrorismusbekämpfung' auf Kosten der Bürgerrechte", sagte Rolf Gössner in seiner Laudatio.

Schäubles Parteikollegin Ursula von der Leyen bekam für ihre Forderung nach Internetsperren den Preis in der Kategorie Politik. Die Familienministerin hatte ein entsprechendes Gesetz vorangetrieben mit der Begründung, Internetseiten mit Kinderpornos sperren zu können.

Die Deutsche Bahn, die Post, Telekom und Lidl wurden in der Kategorie Arbeitswelt auch in diesem Jahr negativ hervorgehoben. Der Preis ging jedoch an die Firma Claas Landmaschinen. Die verkauft Mähdrescher, die per Satellit geortet werden können. Auch andere weniger prominente Unternehmen fielen den Juroren negativ auf. In der Kategorie Wirtschaft teilen sich sieben Kommunikationsfirmen den Preis. Darunter ist die Firma Quante Netzwerke, die den staatlichen Überwachungssektor als Markt entdeckt hat.

Das Unternehmen bietet Providern an, die technische Zusammenarbeit mit ermittelnden Behörden zu übernehmen. Die Firma Ultimaco Safeware hat sich auf Vorratsdatenspeicherung spezialisiert. Sie speichert im Auftrag von Telekommunikationsunternehmen Daten in sogenannten Data Warehouses und stellt sie Behörden zur Verfügung. Die Anfragen der Behörden werden von der Software automatisch via Fax, E-Mail und IP-Schnittstellen bearbeitet.

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12 Kommentare

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  • AA
    Albert Anglia

    War es nicht Otto Georg Schily (SPD) in personalunion mit der partei Bündnis90/Die Grünen, der als Bundesminister des Innern von 1998 bis 2005 die biometrischen personalausweise verfügte?

    Da sitzen jetzt angestellte der ausländerämter mit schablonen zwischen den fingern hinter funierschreibtischen, um festzustellen, ob die mundwinkel für das ausweisphoto zur verlängerung des studienvisas bzw. der aufenthaltserlaubnis tatsächlich gerade sind wie ein bügelbrett, oder ob sich eventuell doch ein lächeln eingeschlichen hat, was, Schily & Schäuble und der breiten mehrheit des bundestages sei dank, nicht sein darf.

     

    Diese gesichtsschablonen zur kontrolle der geradestellung der mundes erinnern im übrigen an ein finsteres kapitel deutscher geschichte, als deutsche "verantwortungs-" und funktionsträger in den jahren zwischen 1933 und 1945 damit beschäftigt waren, schädel auf ihre propagierte "rassenreinheit" hin zu vermessen.

     

    Ein Big Brother Award ist insofern ganz niedlich, ändert aber nichts an den politischen zuständen des weiteren abbaus von bürger- und menschenrechten, zu denen auch das recht des lächelns in personalausweisen zählen sollte, durch solche faschistoiden charaktere wie Otto Schily und Wolfgang Schäuble.

    Offenbar ist die politische lethargie in der BRD bereits extrem verbreitet, verglichen etwa mit den zivilen widerständen gegen die verordnete volkszählung 1986/87, sonst hätte es doch schon längst massenproteste von Linken und Liberalen gegen diese bürokratische menschenverachtung, die biometrischen personaldokumente gegeben, ist es nicht so?

     

    LÄCHELN STRENGSTENS VERBOTEN! Welche stufe der rakete wird als nächstes gezündet???

  • J
    joHnny

    ...in dubio pro reo...

  • U
    Uwe

    Da kann ich Hr. Sch. nur herzlichst gratulieren. Leider wird ihn das nicht sonderlich beeindrucken. Im Artikel wird nur angehaucht, was sich schon länger am Horizont abzeichnet. Sinn und Zweck der ganzen Überwachung ist eindeutig die Zementierung der sozialen Verhältnisse. Informationen sind ja überall leicht verfügbar und das beruhigt, beruhigt auch dann besonders, wenn man unter desozialisierenden Arbeitsbedingungen schaffen muss. Da flüchtet man sich gerne mal in die eigene virtuelle Welt. Die Hoffnung freie Information würde auch zur Freiheit führen hat sich aber nicht bewahrheitet. Wie gesagt, das würde ja auch bessere Verhältnisse für alle bedeuten und nicht nur für gewisse. Wo führt das nur alles hin? Nice day.

  • Y
    youngworld

    Na wer hat denn hier von wem abgeschrieben?

     

    the same: http://www.jungewelt.de/2009/10-17/035.php

  • A
    André

    Sehr gute Sache, wie ich finde. Mir kam es so vor als haben es dieses Jahr mehr Datenskandale in die Medien geschafft als sonst. Da finde ich solche Aktionen, die nochmals daran erinnern, sehr lobenswert. Soweit ich weiß, hat auch der Kleidungsdiscounter Kik einen Preis bekommen, da er seine Mitarbeiter halbjährlich zu einer Bonitätsprüfung zwingt. Damit werde den Mitarbeiter, die einen Kredit aufgenommen haben, unterstellt größeres Diebstahlpotenzial aufzuweisen.

  • K
    Klaus

    Also unseren Städten, Gemeinden und der Polizei kann auch eine Ehrung zu teil werden. Permanent schauen diese beim Autofahren auf meine Tachonadel und auf das Datum und die Uhrzeit ob ich auch ja nicht eine Geschwindigkeitsreduzierung übersehen habe und auch ja eine Pause einlege, auch wenn mir gar nicht danach ist. Bei Fehlverhalten (nach Ansicht der Behörden), wird sofort eingeschritten und mit ein wenig Pech wird mir die Ausübung meines Berufes unmöglich gemacht (Führerschein weg). Der soziale Abstieg kann beginnen. Ich finde da haben es richtig Kriminelle doch richtig gut. Den darf man noch nicht einmal einfach auf den Computer schauen oder den darf man noch nicht einmal Internetseiten sperren. Passt das eigentlich noch zusammen. Manchmal habe ich das Gefühl es lässt sich schöner leben, wenn man das Arbeiten einstellt, das Auto verkauft, eine Sozialwohnung bezieht, vormittags die Frau vom Nachbarn verwöhnt (der gerade bei der Arbeit ist) und Nachmittags im Sommer ins Schwimmbad im Winter schön Skat mit den Kumpels spielen oder ein paar Bücher lesen und Abends Fußball spielen oder Fernsehen oder einfach nur genießen, dass man nicht so gestresst und kaputt ist wie der Nachbar, der den Ehrgeiz hat Steuern zu zahlen damit genug für die Schwachen da ist und er genug verdient um den Heilpraktiker zu bezahlen, der seine Stresssymptome behandelt. Außerdem braucht er auch Wellnessurlaub, damit er bis 65 durchhält.

  • HN
    hmm naja

    ... hm, gute sache, dieser big brother award. aber das mit dem mähdrescher wurde offensichtlich nicht wirklich verstanden. kann zwar zur kontrolle des fahrers eingesetzt werden, aber bietet vor allem vorteile beim effizienten steuern der maschine. auf der HP des big brother awards wird die satellitengestützte kontrolle als kurios bezeichnet - aber das ist sie nur, wenn die funktion nicht verstanden wurde!

    schlampige recherche, die diesen sinnvollen preis etwas entwertet. oder geschickte PR: die claas-geschichte klingt sicherlich interessanter als ein erneutes ausbreiten der bekannten geschichten von lidl und Co.. ich hätte sonst nicht auf die BB-Seite geschaut... ;o)

  • E
    Estanboli

    Madrit, London alles wird dort überwacht bis zum letzten meter doch sie haben es nicht verhindern können das die anschläge nicht passieren, wieso soll das hier in Deutschland anders sein herr Schäubele, was haben sie wirklich vor ????

  • MK
    martin keller

    big brother award für claas-landmaschinen wegen satellitenortung? das geht wohl leider am ziel vorbei und bietet den sicherlich zurecht "prämierten" gelegenheit die auszeichnung als jux zu relativieren.

     

    bei den landmaschinen ehts nicht um die erfassung persönlicher bewegungsprofile von normalen bürgern sondern um die zielgenaue ortung und einsatzoptimierung von erntemaschinen die in einem sehr kurzen zeitraum tag und nacht im einsatz sind, und zudem sehr von der witterung abhängen. mithin einausgeprochen nützliches unpolitisches und absolut ziviles anliegen.

     

    für berliner stadtmenschen: bei erntemaschinen gibt es nur 2 einsatzstati: abgestellt im schuppen oder rund um die uhr im volleinsatz.

    in der erntezeit muss man diese knappe resource optimal einsetzten, da kommt es auf mikroklimatische parameter an die sich z.t. stündlich verändern und über eine gelungene ernte oder verdorbenen kompost entscheiden.

  • P
    politik-web

    Optimierungsbedarf der heutigen Demokratie?

    http://parlament.politik-web.de/thread/?thread__mid=62230681

    Die Verleihung der Big Brother Awards spiegelt die Sorge von Minderheiten und Einzelnen wider, die Mehrheit, die in der Demokratie politisch das Sagen hat, könnte grundlegende Rechte und Konventionen des Gesellschaftsvertrages verletzen.

  • V
    vic

    Diesen Preis für sein Lebenswerk hat er sich verdient.

    Schäuble weniger als Person, denn als Metapher für die permanente Aushöhlung der Bürgerrechte - das hat was.

    Der Begriff "Schäuble" steht schon heute für "beobachtet werden", "verdächtig sein".

    Der bringt es noch zu einer Maßeinheit für Bürgerrechte, Meinungs- und Bewegungsfreiheit.

  • J
    Jemand

    "Freuen wird er sich kaum[...]"

     

    Doch, wird er.