: Beweis für blanke Armut
betr.: „Dienstleistung hat goldnen Boden“, taz vom 5. 9. 06
Siebzig Prozent der Bruttowertschöpfung werden also im Dienstleistungssektor erbracht. Interessant, nur: Wer bezahlt denn all die tolle Dienstleistung? Die Behauptung, wir würden eine Dienstleistungsgesellschaft werden, ist so alt wie die liberale und inzwischen grün-liberale Milchmädchenökonomie, die gerade so tut, als ob Wertschöpfung im gegenseitigen Tausch von Dienstleistungen geschehen könnte. Wo dann auf wundersame Weise das Geld der Dienstleistenden herkommt, dafür bleiben uns die Apologeten der Dienstleistungsgesellschaft den Nachweis schuldig.
Dass ein Ingenieurbüro nur davon lebt, dass es für einen Hersteller arbeitet, der seinerseits so etwas Popeliges wie Waren produziert, das scheint für die liberalen Ökonomen ein undurchschaubares Geheimnis zu sein. Früher gab es noch die Entwicklungsabteilung im Konzern. Auch die ausgelagerte Entwicklungsbude, einschließlich deren beauftrage Anwälte, Computergurus, Pizzaservice und Putzhilfe, wird letztlich von der Wertschöpfung der Warenproduktion, die der Auftraggeber erwirtschaftet, bezahlt.
Die Auslagerung hat zur Folge, dass kein einziger neuer Arbeitsplatz entsteht, und wenn, dann allenfalls ein schlecht bezahlter. Erstaunlich, dass so kurz nachdem die New Economy ganz erbärmlich auf die Schnauze flog, die Hochnäsigkeit gegenüber der „Old Economy“, der handwerklichen und industriellen Warenproduktion, wieder aufkeimt.
Und auf die Dienstleistungsgesellschaft der armen Teufel, die mir die Schuhe putzen und mein Auto betanken wollen, kann ich pfeifen. Unterbeschäftigung ist nicht mal Dienstleistung, sondern der augenfällige Beweis für blanke Armut und ökonomischen Verfall. Die Neoliberalen haben sich genau das auf ihre Fahnen geschrieben.
MARTIN STOCKER, Stuttgart