Bettina Schleicher: "Wir fordern feste Ziele und Anreize"
Mit dem Gleichbehandlungsgesetz ist es nicht getan, sagt Wirtschaftsanwältin Bettina Schleicher. Man müsse sich von der deutschen Mentalität verabschieden, dass Frau nur "dazuverdient".
taz: Dass Frauen in Deutschland rund ein Fünftel weniger verdienen als Männer, hat viele Ursachen. Kann man denen mit einer Kampagne beikommen?
Bettina Schleicher: Einen Versuch ist es wert, zumal diese Zahlen offenbar nicht bekannt genug sind, denn es ändert sich nichts. In Sachen Einkommensunterschiede gehört Deutschland in Europa zum Schlusslicht. Andere Länder schaffen bessere Bedingungen.
Bettina Schleicher (48) Präsidentin der Business and Professional Women in Deutschland.
Weil Frauen vom "Europäischen Jahr der Chancengleichheit" bisher nicht viel hatten, ruft die Organisation Business and Professional Women (BPW), ein Netzwerk berufstätiger Frauen, zur "Initiative Rote Tasche" auf. Die rote Tasche soll auf die roten Zahlen, also das Defizit in den Geldbörsen von Frauen verweisen.
Denn im Durchschnitt verdienen Frauen in Deutschland 22 Prozent weniger als Männer. Nur in drei anderen EU-Staaten ist die Differenz noch größer. Am geringsten sind die Einkommensunterschiede in Malta, am größten in Zypern.
Mit Anstecknadeln und Diskussionsveranstaltungen will BPW Politik, Unternehmen und Medien sensibilisieren. OES
Ist der Fall in Hamburg, in dem Frauen für die gleiche Arbeit schlechtere Verträge bekamen, ein Einzelfall?
Nein, es wird einige solcher Fälle geben. Allerdings ist die Diskriminierung in den meisten Fällen nicht so sichtbar. Es gibt oft unterschiedliche Leistungsbeschreibungen: Da sind Tätigkeiten, die Frauen ausüben, plötzlich nicht mehr so wertvoll.
In den USA haben Frauen bereits gegen die berühmte "gläserne Decke" in ihren Firmen geklagt, weil viel mehr Männer als Frauen befördert wurden. Wird es dazu auch in Deutschland kommen?
Theoretisch ist das mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz möglich. Praktisch aber wissen wir noch nicht, wie hoch die entsprechenden Schmerzensgelder ausfallen würden. In den USA kann man sich mit einem Schmerzensgeld in Millionenhöhe unter Umständen einfach zu Ruhe setzen. In Deutschland ist das Risiko groß, wenig Geld herauszubekommen - und zugleich als "Querulantin" kaum mehr eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben.
Ein Großteil des Lohnunterschieds ist nicht auf böswillige Chefs zurückzuführen, sondern auf Strukturen. Frauen wählen schlecht bezahlte Berufe, arbeiten Teilzeit, übernehmen weniger Verantwortung. Was ist zu tun?
Alles, was Frauen in diese Strukturen drängt, muss weg. Zum Beispiel brauchen wir Kinderbetreuung, außerdem müssen die drei Jahre Erziehungszeit verkürzt werden, denn nach solch langen Auszeiten hat man in vielen Berufen keine Karrierechance mehr. Wir müssen uns von den deutschen Grundeinstellungen verabschieden, dass die Frau "dazuverdient" und der Mann die Frau "ernährt".
Das ändert nichts daran, dass typische Frauenberufe weiterhin schlechter bezahlt werden.
Da müssen sich die Tarifparteien mal das Lohngefüge ansehen. Ist eine Friseurin weniger belastet als ein Pförtner? Warum verdient sie dann weniger Geld? Hier müssen Anpassungen erfolgen.
Auch Ingenieurinnen verdienen im Schnitt monatlich etwa 800 Euro weniger als Ingenieure. Einen "Männerberuf" zu ergreifen hilft also nicht.
Frauen haben oft wegen der Kinderpause einen langsameren Karriereverlauf. Aber auch die Einstiegsgehälter sind generell niedriger. Das Risiko, die Frau durch eine Kinderpause zu verlieren, gleicht der Arbeitgeber monetär aus. Wenn die Elternzeit gerecht zwischen Frauen und Männern geteilt würde, wäre auch diese Risiko geteilt, und das Argument fiele weg.
Das heißt, Frauen werden nicht diskriminiert, sondern rational behandelt?
Der Markt reagiert, aber das Ergebnis entspricht einer indirekten Diskriminierung. Man muss die Ursachen dieser Reaktion bekämpfen. Wenn beide Eltern zeitweise ausfallen, wird nicht mehr die Frau durch diese Reaktion benachteiligt.
Den klassischen Männerbund im oberen Management sehen Sie nicht mehr als Problem an?
Das wird sich ändern, aber wenn man keine Quote einführt, werden wir das nicht mehr erleben.
Sie sind für eine Quote?
Mit wem Sie auch reden, die meisten, auch Unternehmerinnen, meinen im Privatgespräch, wir brauchten eine vorübergehende Quote. Aber kaum jemand will das mehr öffentlich sagen. Wir fordern feste Zielzahlen und Anreize, um diese Ziele zu erreichen. Wenn solche Unternehmen weniger Steuern zahlten, würden sicher mehr Firmen diesen Schritt machen.
INTERVIEW: HEIDE OESTREICH
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