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Betr.: "Wo endet die Meinungsfreiheit oder: Vom Boykott zur Barbarei", taz vom 26.1.94

Die Gewalt, die Katharina Rutschky erleben mußte, ist entsetzlich und abscheulich! Solches Rambo-Verhalten kann nur schärfstens verurteilt werden. Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von Interessen ist genau das, was wir nicht mehr haben wollen; schon gar nicht auf der primitivsten Stufe – nämlich der physischen – und dann noch unter der Bedingung der völligen Unterlegenheit des Opfers. Widerlich! Die TäterInnen müssen sich bei Frau Rutschky zumindest entschuldigen, wenn sie auch die Folgen ihrer Gewalttat nicht mehr ungeschehen machen können.

Daß das gewalttätige Verhalten gegenüber Frau Rutschky einer ganzen Bewegung Schaden zufügt, macht die Sache zusätzlich unerträglich. Das Kopieren männlich- gewalttätigen Verhaltens ist so ziemlich das Dümmste – was frau tun kann. Mal sehen, ob die TäterInnen auch diese typischen Symptome zeigen werden: fehlendes Schuldbewußtsein, kein Mitgefühl gegenüber dem Opfer, kein Verantwortungsgefühl für mögliche Auswirkungen ihrer Tat. Wenn sich dies tatsächlich zeigen sollte, dann „Pfui!“.

[...] Soviel zur zweiten Hälfte des Artikels von Frau Schmitter. Was die erste Hälfte angeht, so scheinen mehrere Irrtümer vorhanden zu sein. So ist ein sozialwissenschaftliches Themengebiet nicht der Ort, wo Ansichten und Meinungen etwas zu suchen hätten. Die Tatsache, daß sie dennoch existieren und einige Blätter dies Thema auf populäre Weise munitionieren, ändert daran nichts. Wenn sich auch manche zu diesem oder jenem Themengebiet eine Meinung herausnehmen, dann ist das vielmehr eine Erscheinung unserer Zeit. Der Begriff „Meinungsfreiheit“ muß in diesem Zusammenhang jedoch zweifelhaft bleiben, wenn nicht sinnfrei sein. Gibt es „Meinungsfreiheit“ für jedermann zu Themen wie „nonverbale Kommunikation“, „psychische Behandlung, gewalttätiger Jugendlicher“ usw.?

Hier liegt also eine grundlegende Verwechslung vor, die u.a. dadurch entstanden ist, daß wir in Deutschland zum Thema „Sexuelle Gewalt“ keine Forschungslandschaft vorzuweisen haben. Die scheinbare Beliebigkeit und Austauschbarkeit von Ansichten und Meinungen zum Thema sind Folge dieses Mangels, aber rechtfertigen nicht die Verwendung des Begriffs der Meinungsfreiheit in einem Bereich, wo empirische Erkenntnisse und wissenschaftliche Theoriebildung angebracht sind.

Bei der Verwendung des Begriffs „Wissenschaftlerin“ im Zusammenhang mit Frau Rutschky liegt ein weiterer Irrtum vor. Üblicherweise werden AutorInnen, die – wenn auch über eigentliche Sachthemen – in Zeitungen schreiben oder auch Bücher verfassen, nicht automatisch in die Gemeinschaft von WissenschaftlerInnen aufgenommen.

Zweifelhaft ist schließlich, ob die „abweichende Meinung“ von Frau Rutschky in der taz und anderswo wirklich „kontrovers und leidenschaftlich diskutiert“ worden ist. Eher war und ist es doch so, daß auf eine Polemik die nächste folgte, also ein unendlicher Regreß von Polemiken initiiert worden war; wobei Wissenschaftlerinnen, die es „wagten“, gegen diese Art der Munitionierung des Themas zu protestieren, weder Raum noch Platz für die Niederschrift ihrer diesbezüglichen Begründungen erhielten. Von einem kontroversen Austausch unterschiedlicher Diskussionsbeiträge kann überhaupt nicht die Rede sein. Dies gilt sicher nicht nur für die taz, ist aber generell Ausdruck einer von bestimmten Interessen geleiteten Geschlechterpolitik, die jeglicher (sachlicher) Diskussionsgrundlage entbehrt.

Das Fatale an der Gewalthandlung gegen Katharina Rutschky ist, daß sie und die gegen sie gewalttätigen Frauen noch nicht gemerkt haben, wie sehr sie Kalkül der männerdominierten Medien sind. Der Joker „Rutschky“ wird bedenkenlos, aber gezielt ins Spiel gebracht: Wenn sich zwei (Frauen) streiten, freut sich der dritte (Mann). Auflage und Aufmerksamkeit werden so bestens gesteigert. Aber wie weit kann oder darf man gehen?

Vielleicht so weit wie Frau Schmitter, die in ihrer Übergeneralisierung sämtliche engagierte und/oder kritische Frauen („die Avantgarde der kritisch-guten Geister, der Besorgten um das Wohl der Stimmlosen“) mit den gewalttätigen in einen Topf wirft? Wenn sich die Medien von ihrer polemischen und sachlich meist völlig unbegründeten Berichterstattung zu solchen Themen nicht bald distanzieren und hier weiter unverantwortliche Hetze betreiben – anstatt sie zu verhindern –, dann sind sie es, die gefragt werden müssen – was sie aus unserer Gesellschaft eigentlich machen wollen. Monika Gerstendörfer,

Metzingen

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