Betancourt-Ehemann über EU und FARC: "Die EU sollte entschlossener auftreten"
Der prominentesten FARC-Geisel im Urwald, Ingrid Betancourt, geht es schlecht, berichtet ihr Ehemann. Er appelliert an die Regierungen und die FARC, humane Lösungen zu suchen.
taz: Herr Lecompte, was waren die letzten Nachrichten, die Sie über Ihre Frau erhalten haben?
Juan Carlos Lecompte: Montag habe ich mit Luis Eladio Pérez geredet, der letzte Woche freigelassen wurde. Die Guerilla ist auf der Flucht vor der kolumbianischen Armee, und die Lage Ingrids ist dabei verzweifelt. Die Guerilleros behandeln sie am schlechtesten, weil sie sich nicht verkauft hat. Sie wird oft bestraft und hat bereits mehrere Fluchtversuche unternommen.
Ist das möglich?
Ja, einmal ist sie mit Pérez geflohen. Nach fünf Tage hatten sie kein Essen mehr, Ingrid wollte weiter, doch er hatte keine Kraft mehr. Sie wollte sein Leben nicht aufs Spiel setzen, also sind sie zurück. Sie wurde in Ketten gelegt. Wegen ihres Gesundheitszustand darf sie nicht länger bleiben. Wenn sie nicht bald befreit wird, könnte sie sterben.
Was bedeutet der Tod des FARC-Kommandeurs Raúl Reyes für eine möglich Freilassung Ingrids?
Die Guerilla hat vor ein paar Tagen erklärt, dass die Entführten keine Repressalien zu befürchten hätten. Sie strebe weiter ein humanitäres Abkommen an. Ecuadors Präsident hatte gesagt, es gäbe Kontakt zu Reyes, die Freilassung Ingrids und anderer Geiseln zu erreichen. Hoffentlich ist der Tod von Raúl Reyes kein Hindernis.
Waren Sie über das Vorgehen Ecuadors im Bilde?
Ich finde es sehr gut, dass sie andere Länder Frankreich und Venezuela an der humanitären Arbeit beteiligt sind und bin den Präsidenten Correa und Chávez sehr dankbar. Chávez kann mit der Freilassung von sechs Entführten in zwei Monaten Ergebnisse vorweisen. Frankreich war auch immer auf unserer Seite. Unter Chirac hat Frankreich viele Geheimmissionen geschickt und mit Reyes geredet, aber es kam zu keiner Lösung. Jetzt ist Sarkozy mit mehr Kraft dabei.
Welche Rolle sollte die EU spielen?
Die EU sollte entschlossener auftreten. Ihre bisherige Haltung trägt dazu bei, dass sie Entführten ewig im Urwald bleiben. Die EU sollte so wie Frankreich handeln. Als Kolumbianerin und Französin ist Ingrid auch Europäerin. Daher sollte auch Deutschland aktiv werden.
Gibt es in der kolumbianischen Regierung Leute, auf die Sie zählen können?
Nein, da gibt es keinerlei Unterstützung oder Solidarität. Sie setzen auf Krieg, auf militärische Befreiungen, obwohl sie wissen, dass das einem Todesurteil gleichkommt. Im Urwald ist der Überraschungsfaktor gleich null, denn er wird von der Guerilla kontrolliert. Sie haben Informanten in kleinen Siedlungen, Sicherheitsringe, verminte Felder und merken, wenn das Heer kommt.
Was passiert dann?
Sie haben den Befehl, die Entführten zu töten. Hoffentlich begeht die Regierung keine Verrücktheit. Uns Angehörigen gegenüber hat sie keinen Respekt. Als im November die Lebenszeichen abgefangen wurden, die die Senatorin Piedad Córdoba an Hugo Chávez weiterleiten sollte, hatten sie nicht das Feingefühl, uns zu informieren. An dem Abend wollte ich einschlafen, da sehe ich plötzlich meine Frau im Fernsehen!
Derzeit gibt es keinen Dialog mehr zwischen den Präsidenten Chavez und Uribe. Was bedeutet das für Freilassungen der FARC?
Die sechs letzten Freilassungen waren auch nicht mit Uribe abgesprochen. Auch ohne Uribes Erlaubnis hat sich Chávez weiter engagiert und Freilassungen erreicht. Schon damals gab es starke Worte auf beiden Seiten. Wenn die FARC einen guten politischen Schachzug machen wollen, dann wäre jetzt, wo der Konflikt zugenommen hat, doch ein guter Moment - sie sollten Ingrid freilassen als Zeichen ihres guten Willens und Rückhalts für Chávez.
INTERVIEW: GERHARD DILGER
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