Bernhard Pötter über Kinder : Luxus auf vier Beinen
Wandern mit Eseln ist der letzte Schrei. Plötzlich ist man der Erziehungsberechtigte eines Unpaarhufers
Stellen Sie sich das vor: Sie laufen mit einer Ziege durch den Supermarkt. Sie versuchen, die Tiere von der Gemüsetheke und dem Salzgebäck fernzuhalten. Und Sie müssen für den Flurschaden aufkommen. Diese Übung wird (nur halb im Spaß) angehenden Eltern empfohlen. Mir als eingefleischtem Stadtbewohner hat diese Vorstellung immer den Schweiß auf die Stirn getrieben.
Jetzt hieß meine Ziege Kim und war ein Esel. Also etwa doppelt so schwer, dreimal so verfressen und viermal so störrisch. Der Esel sprach französisch. Ich nicht. Und zu allem Überfluss saß auch noch meine einzige Tochter auf dem Rücken des grauen Tiers, das ich am Strick durch die Pyrenäen zog. Mit der Würde eines Sancho Pansa schaukelten meine Kinder auf Kim abwechselnd durch den schwülen Sommertag.
Eselwandern ist der Hit in den Pyrenäen. Das Tier trägt Gepäck oder Nachwuchs. Die Esel sind robust, trittfest und anspruchslos. Sie sind erstaunlich schnell unterwegs, und die Kinder lieben sie. Man bekommt einen Eindruck davon, wie früher Lasten transportiert wurden. Alle unsere Freunde, die mit dem Esel unterwegs waren, schwärmen heute noch davon.
Soweit die Theorie.
„Schau dir das an“, sagte Anna und zeigte mir ihre Hand. Der Strick, an dem Kim ging, hatte ihr eine große wunde Stelle in die Hand gerieben. Die Verantwortung für den Esel hatte ich schnell an meine Frau übergeben. Mit 13 hatte sie „Britta und die Silberstute“ gelesen. Reittiere fallen daher eindeutig in ihre Kompetenzbereich. Mit den zweitbesten Freunden des Menschen brauchte man eine harte Hand: Schließlich musste man den Vierfüßer am Anfang hart am Zügel packen. Das Tier auf die Seite schubsen. Mit deutlichen Worten ermahnen. Ihm zeigen, wer die Herrin ist. Und sich dann von den eigenen Kindern ermahnen lassen: „Mama, tu Kim nicht weh!“
Die Wahrheit ist: Eselwandern ist so, als hätte man noch ein zusätzliches Kind dabei. Und was für eines: groß, stark, nur begrenzt ansprechbar, schwer erziehbar und mit strengem Geruch. „Die Esel sind sanftmütig“, hatte der Vermieter gesagt. Klar, das würde ich von meinen Kindern auch immer sagen. Vor allem vor Fremden. Zur Ehrenrettung der Esel sei gesagt: Wenn man sich (wie wir) nur mal für einen halben Tag mit ihnen beschäftigt, hat man viel Arbeit. Aber wenn man gegenseitiges Vertrauen aufbaut, geht es viel einfacher. Das klang nach vertrauten Erziehungsmaximen. „Wenn ein Esel einer Gefahr gegenübersteht, bleibt er stehen und stürzt sich nicht kopfüber hinein.“ Das klang nun wieder ganz anders als meine Kinder.
Auch sonst ist Eselwandern wie Kindererziehen: purer Luxus. Natürlich kann man auch ohne vierbeinigen Gepäckwagen wandern. Natürlich kann man auch ohne vielarmige Banditen leben. Kinder und Esel halten auf Trab: Man bekommt viel Bewegung an der frischen Luft, wenn man ihnen hinterherrennt. Man muss sich vorsehen, nicht in ihre Kacke zu treten. Man gerät sehr schnell an Grenzen (nicht nur an die zwischen Frankreich und Spanien). Und am Ende eines harten Tages muss man erst mal für Hafer bzw. Haferflocken sorgen, ehe man selbst den Vin Rouge entkorken kann.
Aber wie das so ist mit dem Luxus: Nützt er oder nervt er? Ist es nicht einfacher, meine Unterhosen selber zu tragen, wenn ich dafür nicht mit einem Unpaarhufer über den richtigen Weg diskutieren muss? Macht das Handy mich zum flexiblen, selbstbestimmten Menschen – oder zum Leibeigenen? Stehe ich mit meinem neuen VW-Phaeton nicht hinter all den Polos im Stau? Ärgert mich in meiner 16-Zimmer-Villa nicht immer der neureiche Nachbar?
Unser kurzer Ausflug in die Welt des Luxus endete so: Am Ende hatten wir uns verlaufen. Der Schweiß lief in Strömen. Die Lunge pumpte. Die Füße stolperten voran. Tina war todmüde und jammerte. Das Packtier der Familie schleppte das schlafende Baby Stan, die komatöse Tina und den schweren Rucksack. Insgesamt gut 30 Kilo.
Und der Esel lief fröhlich mit Jonas auf dem Rücken voraus.
Fragen zu Packtieren?kolumne@taz.deDonnerstag: Barbara Bollwahn