Bernhard Pötter Wir retten die Welt: Zwischen Gähnen und Gruseln
Als die schlechte Nachricht kam, war ich gerade auf dem Weg zum Wachsenden Felsen, einem Naturdenkmal an der Isar. Das Smartphone bimmelte: „Weltklimarat: Klimawandel zweifelsfrei menschengemacht. 1,5-Ziel kaum noch zu erreichen“, stand da. „Ach was“, dachte ich, und schob das Telefon wieder in die Tasche. Dann schaute ich mir erst mal an, was die Natur so leistet, wenn man sie 5.000 Jahre in Ruhe lässt.
Ich hatte Urlaub und deshalb alle Briefings, Seminare und Hintergrundgespräche zum 6. IPCC-Bericht geschwänzt. Ich würde ja eh nicht berichten. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, auch deshalb: Es ist so laaangweilig.
Jetzt ist Pötter völlig durchgeknallt, denken Sie vielleicht. Tausende von Experten fühlen der Erde den Puls, und ein Klimajournalist bekommt das Gähnen? Tut mir leid, aber mal ehrlich: Klimawandel menschengemacht? Extremwetter wie Fluten und Hitzewellen nehmen zu? 1,5 Grad nur noch mit größten Anstrengungen machbar? Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend? Das schreiben wir BerichterstatterInnen von der Klimafront seit 15 Jahren jeden zweiten Tag.
Vielen Leuten und manchen Medien schmilzt jetzt der Arsch auf Grundeis. Das ist verständlich, wenn die wissenschaftliche Theorie in Echtzeit vom brennenden Mittelmeer und überfluteten Regionen in Deutschland bestätigt wird. Ich kann mich auch noch gut an meinen „Ach du Scheiße“-Moment erinnern: 2007 in Paris. Ich war dabei, als das IPCC im Unesco-Gebäude in seinem 4. Bericht feststellte: Klimawandel ist menschengemacht, Extremwetter nehmen zu, Eisflächen schmelzen, Emissionen müssen schnell runter. (Klingt vertraut, oder?) Und ich dachte: Wahnsinn! Was da auf uns zukommt! Aber außer den WissenschaftlerInnen, der taz und ein paar Ökofreaks haben es dann alle schnell wieder vergessen.
Jetzt ist das Thema Mainstream, und plötzlich waren alle schon immer Klimaschützer: RWE, VW, BDI und VDA, CDUCSUSPDFDP sowieso. Aber auf die vorigen, genauso gruseligen IPCC-Berichte folgte oft das große Achselzucken. Das hat etwas unglaublich Ermüdendes. Die Überdosis Weltuntergang stumpft ab. Nur die braven ForscherInnen nicht, die tagein, tagaus warnen: Leute, es wird ernst!
Vielleicht bin ich einfach schon zu alt und zu lange dabei. Vielleicht sollten sich nur noch Menschen mit Klimapolitik beschäftigen, denen jetzt der Schock ganz frisch in die Knochen gefahren ist. Vielleicht sollten aber auch alle, die 41 Seiten IPCC-Zusammenfassung lesen können, endlich die Kohlekraftwerke abschalten, das Öl im Boden lassen, den Regenwald, die Korallenriffe und die Eisschilde retten und unseren weltweiten Irrsinnskurs umkehren. Wie das geht, kann man alles beim IPCC nachlesen. Und plötzlich werden diese Berichte wieder unglaublich spannend.
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