Bernhard Pötter Wir retten die Welt: Wo sind denn die Ökoterroristen?
Neulich meldete sich wieder der Ökodiktator in mir zu Wort. Es ging um Plastikrecycling, besser: das Nichtrecycling von Kunststoffen, die zu schwierig voneinander zu trennen sind. Der grüne Radikalinski in mir sprach: Was kümmern mich die Gesetze. Kunststoff, der weder biologisch abzubauen ist noch sich recyclen lässt, sollte man einfach verbieten. Basta.
Der Kollege Maximilian Probst in der Zeit muss gelauscht haben. Er schrieb am 12. Juli eine ganze Seite „Held auf dem Sprung“. These: Die Verherrlichung des Kämpfers kommt zurück – auch unter den Ökos. Eine „radikale Gedankenfigur“ aus der Antiatom- und Friedensbewegung der Achtziger erlebe „ein Revival: Demokratische Mehrheitsentscheide sind demnach nur brauchbar, wenn es nicht ums Ganze geht.“ Demokratie sei nur für „eine Art Normalzustand“, aber weil es bei Klima, Plastikmüll und Artensterben um die Rettung der Welt geht, dächten die Ökos gern, „man befinde sich im Krieg“. Und da ist ja alles erlaubt.
Steile These. Nur völlig falsch. In 25 Jahren Berichterstattung zu Umweltfragen ist mir kaum jemand untergekommen, der ernsthaft demokratische Grundregeln abschaffen wollte – auch, weil die oft guten Schutz gegen die Zumutungen der Wirtschaft bedeuten. Die übergroße Mehrheit der Ökobewegung besteht aus lupenreinen Demokraten. Die Umweltfreunde sammeln Geld und Unterstützer (Nabu und BUND haben mit rund 660.000 und knapp 600.000 Mitgliedern deutlich mehr Anhänger als SPD und CDU, die nicht mal auf je 450.000 kommen), sie nutzen ihre Grundrechte – zu demonstrieren oder vor die Gerichte zu ziehen. Sie arbeiten mit Behörden zusammen, beraten PolitikerInnen, informieren die Öffentlichkeit und sitzen sich in zähen Kommissionen zu Atom- oder Kohleausstieg den Hintern platt. Ein „Revival“ des Denkens in Kategorien der Ökodiktatur? Die Realität sieht anders aus.
Erstaunlich ist doch, wie friedfertig die KämpferInnen gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen sind. Wenn Bergbaukonzerne Landschaften verwüsten, Ölfirmen Meere verseuchen, das Agrarbusiness Regenwälder zu Kleinholz macht, Autokonzerne mit Stickoxid und Lügen die Atmosphäre vergiften oder Schweinemäster unser Trinkwasser – da würde man doch mehr Widerstand erwarten als eine Mahnwache vor der Aktionärsversammlung. Sabotage, Angriffe auf Konzernchefs, Wut, Hass, Gewalt bis hin zum Terror – all das gibt es, von kleinen Ausnahmen abgesehen, praktisch nicht. Es stimmt schon, wir sind im Krieg. Aber die Ökos gehen einfach nicht hin.
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