Berliner Tagung "Freiheit im Blick": Die Last historischer Erfahrungen
Die "Freiheit im Blick" hatten alle ehemaligen Ostblockstaaten 1989 und vor dem Beitritt zur EU. Bedenklich ist jedoch die anhaltende Unfähigkeit sich in andere Staaten hinzudenken.
Am Abend des 9. November 1989 überrannten tausende von Ostberlinern auf ihrem Weg in den Westteil der Stadt einfach die DDR-Grenztruppen an der Berliner Mauer. Ein Sinnbild für die Abdankung der kommunistischen Regimes.
Was waren damals die Hoffnungen und Erwartungen einer Rückkehr des Ostblocks nach Europa? Wie ist es dort 20 Jahre nach der Wende um die Freiheit in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur bestellt? Wo steht das vereinte Europa heute? Und was sind seine aktuellen und künftigen Herausforderungen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Konferenz "Freiheit im Blick. Europa 1989/2009. Geschichte einer Hoffnung - Ende einer Illusion", die am Mittwoch und Donnerstag in Berlin stattfand. Eingeladen hatten das Goethe-Institut, das Polnische Institut Berlin sowie die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde. Als Veranstalter garantieren diese Institutionen differenzierte Diskussionen, die der Falle einer deutsch-deutschen Nabelschau entgehen.
Es kamen dann vor allem Wissenschaftler, Politiker, Journalisten und Künstler aus Polen, Tschechien, Ungarn und den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Wer brachte 1989 überhaupt ins Rollen, fragte der ehemalige polnische Dissident und heutige Chefredakteur der Gazeta Wyborcza, Adam Michnik. Je nach Standpunkt fielen Antworten auf diese Frage unterschiedlich aus. Einmal abgesehen von dem Umstand, dass für den Niedergang des osteuropäischen Kommunismus ein ganzes Bündel von Faktoren verantwortlich war, ist das Nebeneinander von verschiedenen Erinnerungskulturen per se nicht überraschend.
Bedenklich sind jedoch vielmehr die anhaltende Unfähigkeit und der mangelnde Wille der Osteuropäer, sich in die Perspektive des jeweils anderen zu versetzen und darin auch zu denken. Das führt heute zwangsläufig zu Friktionen, Missverständnissen und Konflikten im Europa der 27. So behindert das historische Erbe jener ehemaligen sozialistischen Staaten, die 2004 der EU beigetreten sind und sich immer noch von Russland bedroht fühlen, die Formulierung einer gemeinsamen Strategie Brüssels gegenüber Moskau. Dem gleichen Bedrohungsimpuls folgt auch das Engagement der EU-Neumitglieder für Beitrittskandidaten wie Georgien oder die Ukraine. Jene Länder also, die Russland immer noch als in seiner originären Einflusszone liegend betrachtet. Schwer wiegt in dieser geopolitischen Problemlage auch, dass bislang weder klar definiert ist, wer bereits zu Europa gehört, noch, wer zukünftig dazugehören soll.
Die Last unterschiedlicher historischer Erfahrungen ist eine der Sollbruchstellen in einem neuen Europa, das sich fortwährend an der Frage "Werte versus Interessen" abarbeitet. Es fehlt derzeit auch noch ein europäischer Kommunikationsraum, um, nach den Worten von Jürgen Habermas, einen Austausch der Menschen im Sinne eines Konsens zu ermöglichen, der demokratische Institutionen legitimiert. Davon, so Carl Henrik Fredriksson, Chefredakteur von Eurozine in Wien, sei man noch weit entfernt. In der Regel würde auf nationale Medien zurückgegriffen. Da sich aber die Politik geändert habe, müssten sich auch die Medien ändern, um ihre Rolle als vierte Gewalt wahrzunehmen. Das sei aber nicht passiert. "Die europäische Integration hat keine Zukunft, wenn sich kein europäischer Kommunikationsraum entwickelt", so Fredriksson.
Der transnationale Meinungsaustausch war und ist für viele Menschen in den ehemaligen Transformationsstaaten jedoch eher ein Nebengleis. Vielmehr war mit dem Umsturz von 1989 einfach die Hoffnung auf verbesserte Lebensstandards verbunden. In der bulgarischen Hauptstadt Sofia zeigte 2006 eine Uhr im Zentrum die verbleibenden Tage bis zum EU-Beitritt an. Mittlerweile ist diese Euphorie verflogen, und zwar nicht nur in Bulgarien. Das, was viele auch als Wiederherstellung einer historischen Gerechtigkeit empfanden, bedeutet heute sozialen Abstieg und wachsende Armut - unabhängig von der globalen Finanz-und Wirtschaftskrise.
Nicht zuletzt deshalb dürften bei den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament am 7. Juni dieses Jahres - glaubt man jüngsten Umfragen - nationalistische und xenophobe Gruppierungen in den neuen Beitrittsstaaten wachsenden Zuspruch erhalten. Für Adam Michnik ist das eine Horrorvorstellung. "Wenn niemand den demokratischen Staat verteidigt, wird er unterliegen. Meine Obsession ist die Verteidigung der Republik", sagte er in Berlin. "Jetzt muss man alles unternehmen, damit nicht auch noch das eine gestürzt wird, an das ich grenzenlos glaube: das Dogma der Menschenrechte und der Freiheit in demokratischen Staaten. Das sind Fundamente einer EU, die schon in Zeiten der Diktatur unser Traum waren."
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