Berliner Tagebuch: Enttäuschter Nazi
■ Berlin vor der Befreiung: 30. März 1945
Foto: J. Chaldej/Voller Ernst
Auf einem Spaziergang durch das Grunewaldviertel begegnete ich meinem alten Hauswirt. Er war unterwegs, um Brennholz zu sammeln. Nicht im Wald etwa, sondern in den Ruinen der Villen.
– Ich habe ja nicht im Traum daran gedacht, daß es so weit kommen könnte, seufzt der Mann.
Er gehört zu den enttäuschten Nazis. Aber das hilft ihm unter den heutigen Verhältnissen gar nichts. Vor dem Krieg führten er und seine Familie ein ausgesprochenes Luxusleben.
– Wenn ich nicht Verantwortung für Frau und Kinder hätte, dann würde mich keine Macht der Welt dazu bewegen, dieses Dasein fortzusetzen, sagt er.
Aber das Parteiabzeichen sitzt immer noch an seinem Mantel.
Die Partei hat ausländische Arbeiter herangeholt, um die Keller zerbombter Häuser freizulegen. Man sucht nach Kohlen und nach Koks. Und es hat den Anschein, daß man auch eine Menge findet. Die ausländischen Arbeiter kriegen eine Extraportion Eintopfessen, wenn der Fund des Tages gut ist. Das Essen wiederum muß von den Bewohnern jener Häuser geliefert werden, die etwas von der ausgebuddelten Kohle zugeteilt erhalten. Dieses Opfer nehmen die Berliner gern auf sich. So erhalten sie doch wenigstens die Gelegenheit, sich selber warmes Essen zu bereiten. Jacob Kronika
„Der Untergang Berlins“, Verlagshaus Christian Wolff, Flensburg-Hamburg 1946
Jacob Kronika, dänischer Journalist (1897–1982), zwischen 1932 und 1945 Berlin-Korrespondent der dänischen Zeitungen „Nationaltidende“ und „Dagens Nyheter“ sowie der schwedischen „Svenska Dagbladet“.
Recherche: Jürgen Karwelat
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