Berliner Szenen: Lesen und lesen lassen
Fup liest Seeßlen
Fup singt: „Haribo macht Kinder krank, Erwachsene liegen fett im Schrank, Sterben tut man sowieso, schneller geht’s mit Haribo.“
Kannte ich noch nicht. Ich muss an meinen alten Freund Thomas Gottschalk denken, als ich sage: „Nicht schlecht, muss ich mir aufschreiben. Aber jetzt geht’s in Bett.“ Fup geht tatsächlich ins Bett. Ich hole aus der Küche noch eine Flasche Wasser für den Fall, dass er plötzlich dehydriert. Fup schmökert.
„Was liest du da?“, frage ich. Er zeigt mir den Titel: Georg Seeßlen: „Trump! Populismus als Politik“. – „Ich hab schon zwei Seiten gelesen“, sagt Fup. „Whow“, sage ich, „das ist schon mal doppelt so viel wie ich. Und? Was steht drin?“ Aber Fup ignoriert die Frage und nimmt stattdessen einen Comic in die Hand, aus dem er mir vorliest. Es handelt sich um ein „rechtshändiges“ Pokémon-Buch, wie er mich aufklärt, nachdem ich ihn darauf hingewiesen habe, dass er das Buch in die falsche Richtung blättert. Es ist also ein Buch, das von hinten nach vorne gelesen wird.
Ich verstehe nicht viel, aber ich muss gestehen, dass ich auch gar nicht viel verstehen will, und da kommt mir die eher stockende Vortragsweise Fups sehr entgegen. Mehr als vier Seiten liest mir Fup sowieso nicht vor. Dann sagt er: „Jetzt hab ich schon 128 Seiten.“
Dann bin ich dran. Ich lese ihm Mark Twains „Tom Sawyers abenteuerliche Ballonfahrt“ vor. „Seit Jahrzehnten nicht mehr lieferbar“, steht auf dem Umschlag, völlig zu Recht, denke ich, denn außer dass Huck Finn, Tom und Jim über die Sahara hinweggondeln und unten ab und an ein kleines Gemetzel passiert mit jeder Menge Toten, besteht die Geschichte hauptsächlich aus spitzfindigen Debatten zwischen den dreien, die ein bisschen zu rechthaberisch geführt werden, sodass ich manchmal während des Vorlesens einfach abschalte und dann staune, dass Fup nicht meckert. Aber vielleicht hört er ja auch gar nicht zu. Klaus Bittermann
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