Berliner Szenen: Papageien im Görli
Alles ist möglich
In Kreuzberg ist selbst der Wochenbeginn nicht schal. Ein Beispiel: Am Montag traf ich mich mit einer Freundin an einem Café in der Görlitzer Straße. Nach etwa fünf Minuten fuhr ein neuer weißer BMW vor. Der Fahrer: Typ „muskulöser Gangster“. Die Musik: „Baby One More Time“ von Britney Spears.
Zehn Minuten später lief ein zierliches Mädchen an uns vorbei. Das Outfit: ein Blümchen-Kleid. Die Handtasche: ein laut aufgedrehter CD-Player. Als wir gerade den letzten Schluck Kaffee tranken, näherte sich uns ein Mann mittleren Alters. Er lief rückwärts und kam uns und unserem Tisch immer näher und näher. Als ich schon mit einem Crash rechnete, drehte er sich plötzlich um und lief normal weiter. Verwirrt schaute ich meine Freundin an und dann wieder ihn. Inzwischen lief er wieder rückwärts. Sein Hinterkopf hatte schon einen neuen Tisch im Visier.
Nach dem Bezahlen unternahmen wir noch einen kleinen Spaziergang durch den Görlitzer Park. Kurz dachten wir, eine gewisse Normalität sei dort eingekehrt, die sich in Form von Marihuana- und Grillrauchschwaden, Drogendealern und Biertrinkern äußert, als wir plötzlich krächzende Geräusche vernahmen. Wir schauten uns um und sahen Papageien. Drei bunte Papageien und ein schneeweißer Kakadu mit gelber Federhaube, deren Besitzer völlig normal aussah. Bier trinkend und mit aufreizender Gelassenheit beantwortete er die Fragen der neugierigen Passanten. Vor allem die Kinder staunten nicht schlecht, als sie diese exotischen Tiere erblickten. „Aber Mama, Papageien gehören doch in den Zoo“, sagte ein etwa fünfjähriger Junge und zeigte ungläubig auf die exotischen Vögel, die auf dem Fahrrad des Besitzers saßen. Die Mutter des Kindes überlegte kurz und antwortete dann: „Ach, weißt du, in Kreuzberg ist alles möglich.“ Eva Müller-Foell
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