Berliner Szenen: Manuel und Mutter
Die Ampel
Nervenkitzel gehört morgens beim Radfahren dazu. Werde ich die Trödelzeit vom Frühstück aufholen? In der Oranienstraße bildet sich ein Rückstau von Fahrradfahrern, der schon nervös mit den Füßen scharrt, wenn die vordere Person an der Ampel einen langsamen Antritt hat. Bummelradler werden gnadenlos weggeklingelt. In der Heinrich-Heine-Straße habe ich grüne Welle, die Waden vor mir bewegen sich in angenehmen Ranhäng-Tempo, und so geht es fix bis zur Jannowitzbrücke. Die Minuten, die an der Kreuzung verstreichen, kann ich am Alexanderplatz durch zwei Abkürzungen reinholen. Zufrieden radle ich den Hügel Prenzlauer Allee hoch. Jetzt bin ich in der Zeit.
Doch ich hab die Rechnung ohne die Fußgängerampeln in Prenzlauer Berg gemacht. Die letzte Hürde vor dem Ziel. Besonders viel ist auf den Straßen nicht los, aber natürlich haben Straßenüberquerer Rot. Auch stehen an jeder einzelnen mindestens drei Elternteile mit Kindern – oft ebenfalls auf dem Fahrrad. Vorwurfsvolle Blicke erreichen mich schon, wenn ich auf die Ampel zurolle. Morgens wird hier frühkindliche Verkehrserziehung geübt. Prenzl-Berg-Eltern wissen, wie gern ich kurz bei Rot über die Ampel huschen würde, schließlich ist weit und breit kein Auto zu sehen. Doch klar, Vorbildfunktion. Versteh ich ja. Also bleibe ich stehen. Tipple unruhig auf der Stelle. Im Augenwinkel sehe ich, wie die Ampel für Autofahrer auf Rot wechselt. Ich stoße mich vom Bordstein ab und rolle los. „Mama, warum fährt die …“, höre ich in meinem Rücken. Ach komm. „Da hast du völlig recht, Manuel. Erst jetzt ist für uns Grün. Erst jetzt fahren wir.“ Ich drehe mich nicht um, kenne den Blick von Manuels Mutter trotzdem genau. Als ich mein Fahrrad beim Büro anschließe, blicke ich auf die Uhr. Zwei Minuten nach neun. Danke, Manuel. Linda Gerner
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