piwik no script img

Berliner SzenenZurückgelassen

Die Busreise

Ohne Papiere, ohne Handy, ohne Geld zurückgelassen

Zu Beginn der Fahrt lief alles wie am Schnürchen – der Flixbus stand schon abfahrbereit am Berliner ZOB, und ich hatte sogar einen Doppelsitz für mich allein. Es dauerte keine fünf Minuten, und ich fiel in einen wohligen Schlaf. Kurz darauf wurde ich von der gellenden Stimme des Busfahrers aus meinen Träumen gerissen: In wiederkehrenden, minutenlang dauernden cholerischen Anfällen kommentierte er das Fahrverhalten der anderen Verkehrsteilnehmer auf der Autobahn. An Schlafen war nicht mehr zu denken.

Auf einer Autobahnraststätte irgendwo in den deutschen Wäldern legten wir eine Pause ein, ich drehte eine Runde. Als ich zurück zum Bus ging, war kein Bus mehr da! Ich fing gerade an, an meiner Orientierungsfähigkeit zu zweifeln, als mir zwei andere Mitreisende mit entsetzten Mienen entgegenkamen: „Der Bus ist weg. Der ist einfach losgefahren!“, riefen sie mir zu. Ich wollte es erst nicht glauben. Ohne Papiere, ohne Handy, ohne Geld auf einer Autobahnraststätte zurückgelassen – die Horrorvorstellung schlechthin.

Als alter Tramp-Hase lief ich darauf hin intuitiv zum Parkplatz und fing an, Leute in parkenden Autos anzusprechen. Ein Geschäftsmann erklärte sich schließlich bereit, uns drei mitzunehmen – kurz darauf nahmen wir die Verfolgungsjagd auf. Der Mann schien seine Freude an der Aktion zu haben, endlich passiert mal was, er fuhr für uns sogar einen Umweg. Nach einer gefühlten Ewigkeit sahen wir endlich unseren Bus vor uns. Der Geschäftsmann trat beherzt aufs Gas – wir überholten den Bus mit offenen Fenster und wedelnden Armen, setzten uns vor ihn und hofften auf eine Reaktion des Busfahrers. Entnervt gab der Busfahrer nach und verließ beim nächsten Parkplatz die Autobahn. Er sammelte uns wieder ein – und bombardierte uns sogleich mit Vorwürfen. Annika Glunz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen