Berliner Szenen: Pissnelke
Im hohen Bogen
Nachdem ich vor einigen Jahren zum ersten Mal auf dem schönen alten Segelboot eines Freundes mitgesegelt bin, stachen wir an einem der letzten sonnigen Wochenenden erneut in See, auf dem Krossinsee an der südöstlichen Stadtgrenze von Berlin, wo das Boot liegt.
Schon beim ersten Mal konnte ich mir ums Verrecken nicht den Namen des Bootes merken, Piselke oder so ähnlich, weshalb ich ihm den Spitznamen Pissnelke gab, was dem Schiffseigner nicht so sehr gefällt, mir aber umso mehr.
Es blies ein ordentlicher Wind, und alle naselang hieß es „Bereit zur Wende?“, worauf ich zurückrief: „Bereit zur Wende!“ Eine Wende auf dem Wasser, das weiß ich mittlerweile, ist ein Segelmanöver, bei dem das Schiff mit dem Bug durch den Wind geht, der Wind also während des Manövers kurzzeitig auch von vorn kommt. Der Wind trug uns nach jeder Kurskorrektur mit einer Geschwindigkeit über den See, dass es eine wahre Freude war, und besonders toll fand ich es, wenn das Boot gefährlich schräg auf dem Wasser lag und wir uns auf dem oberen Teil ganz weit hinauslehnten.
Nachdem wir während einer Flaute vergeblich versucht hatten, herauszufinden, wo am Ufer einst die Ernst Thälmann Gedenkstätte in Ziegenhals stand (wo der Arbeiterführer im März 1933 das letzte Mal vor seiner Verhaftung durch die Gestapo vor KPD-Funktionären sprach), warfen wir am frühen Nachmittag den Anker, und ich packte Bier und marinierte Hähnchenkeulen- und flügel aus, die ich dabei hatte. Bevor wir uns stärkten, machte der Besitzer des von mir liebevoll Pissnelke genannten Bootes dem Kahn alle Ehre: Er pinkelte im hohen Bogen vom Boot aus in den See.
Als wir später wieder in den Hafen eingelaufen waren, nahmen wir einige große Schlucke aus der Pulle Rum an Bord und stießen auf die Pissnelke an. BARBARA BOLLWAHN
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