Berliner Szenen: Frühkindlich
Haare bürsten
Auf Facebook finde ich die erstaunlichsten Sachen raus und lerne auch was über mich selbst: Ich hab viel mehr Sex, als ich denke. Viel, viel mehr sogar: Ich habe Sex, wenn ich meine Freundin angucke (am besten mit’nem Apfel im Mund); ich habe Sex, wenn wir beide den Arm nach vorne ausstrecken; ich habe Sex, wenn ich in Unterwäsche neben ihr stehe, und besonders dann, wenn das in der Küche passiert und ich dabei Eier in eine Rührschüssel schlage. Und Haare bürsten – auch da haben wir Sex, sagt jedenfalls Facebook bzw. der Artikel, der da geteilt wurde, darüber, welche Fotos von Fotodiensten auftauchen, wenn man als Suchwort „Lesbensex“ eingibt.
Aha, denke ich. So früh also schon. Denn laut meiner Schwester kam ich als Kind immer zu spät, sagte: „Ich musste der Bea noch die Haare bürsten!“ Ging anscheinend zur Sache damals. Und wie! Jeden Tag! Schade nur, dass ich zwar noch weiß, wer Bea war, aber keine Erinnerung ans Bürsten selber mehr habe. Aber so ist das nun mal mit präpubertärem Dings, frühkindlichem Bums: Das verdrängt man ganz schnell.
Trotzdem schade, denke ich, und dann denke ich an meine Freundin, lange Haare, viel bürsten; jeden Tag macht sie das. Ob sie da …? Ich ruf sie gleich an. „Sag mal“, fang ich an. Sie unterbricht: „Geht um Haare, korrekt?“ Sie kennt den Tonfall, denn Haare-Fragen stelle ich oft, weil ich selbst keine Haare auf dem Kopf habe. Was das impliziert, verdränge ich jetzt auch ganz schnell. Stattdessen erkläre ich: Facebook, Lesben, Sex, Haare, bürsten. „Also: Wird dir da anders?“
Sie überlegt. „Weißte“, sagt sie dann. „Mir würde wirklich ganz anders, wenn ich endlich mal’ne Haarbürste hätte bei dir in der Wohnung.“
Die Antwort ist jetzt nicht so eindeutig, aber egal. Ich lauf trotzdem los, eine Haarbürste kaufen. Joey Juschka
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