Berliner Szenen: Physiotherapie
Schulterkreisen
Am Sonntag will meine Physiotherapeutin ohne mich segeln gehen. Sie hat eine Jolle und macht irgendeinen Segelschein. Sportbootführerschein See. Ich frage sie, was für Schuhe man zum Segeln braucht. Sie sagt, „Du brauchst welche mit weißen Sohlen.“ Ich sage, ich habe Segeltuchschuhe, ob das geht. Sie zuckt mit den Achseln.
Ich versuche mich zu entspannen. Visualisierung soll ja helfen. Man stelle sich eine Seelandschaft vor. Ich liege also auf der Massagebank und stelle mir einen See vor. Wellen wie von van Gogh. Die flachen, sinnlichen Hügel Brandenburgs im Hintergrund. Die Sonne, die auch prima ohne den Menschen auskommt. Schwimmen möchte man in diesem See nicht, es ist ein Brackwasser, es ist lebensgefährlich.
Ich liebe meine Physiotherapeutin. Ich komme kaum noch ohne sie aus. Ich traue mich nicht mehr, ans Meer zu fahren für ein paar Tage, weil ich da ohne sie sein muss. Ich sehe sie zweimal in der Woche. Sie dreht mir den Hals um. Mal nach rechts, mal nach links. Sie sitzt, dicht an mich geschmiegt, hinter mir. Ich komme immer etwas verliebt da raus.
Gehe ich durch die Stadt, mache ich jede halbe Stunde fast unwillkürlich eine Übung zur Lockerung des Schultergürtels: Beide Schultern kreisen bei hängenden Armen nach hinten. Es knackt dann immer in der Schulter rechts.
Seitdem ich diese Nackenprobleme habe, fallen mir Menschen auf, die in den U-Bahn-Stationen sitzen und den Nacken entspannen. Sie kippen den Kopf nach rechts, recken ihn nach links. Wie Fußballer vor einem großen Spiel. Es sind meist junge Menschen, die zu viel aufs Telefon schauen.
Und jetzt habe ich einen Ohrwurm: „Oh, lass mich stranden. Trag mich zurück ins Meer. Lass mich die Welle reiten. Segel weg, segel weg, segel weg.“ René Hamann
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