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Berliner SzenenAuf dem Friedhof

Du fehlst

Es waren mehr Gießkannen als lebende Menschen

Ein Nieselregen lag an diesem Sonntag über der Stadt. Trotzdem hatte ich Lust auf einen kleinen Spaziergang. Ausgestattet mit einem Regenschirm brach ich am frühen Nachmittag auf. Ich wohne schon so viele Jahre in der Boxhagener Straße in Friedrichshain, dass es mehr als Zeit war, endlich einmal den Georgen-Parochial-Friedhof aufzusuchen.

Kaum hatte ich den evangelischen Totenacker betreten, merkte ich, dass es eine gute Idee gewesen war, dem Regen zu trotzen. Denn der evangelische Friedhof war viel weniger trist als das Wetter. Aufgeregt zwitschernde Amseln, entzückend blau blühende Veilchen und zwei Dutzend Gießkannen in bunten Farben, die mit kleinen und ebenso bunten Schlössern angebunden waren, grüßten kurz nach dem Eingang.

Es waren mehr Gießkannen als lebende Menschen auf dem Friedhof, auf dem man große Berühmtheiten vergeblich sucht. Dafür war Friedrichshain früher zu sehr Arbeiterviertel. Keine protzigen Gruften oder imposanten Steinmetzarbeiten.

Stattdessen fanden sich viele nicht unbedingt schöne, aber sehr persönlich gestaltete Botschaften auf den letzten Ruhestätten. Es lagen eingeschweißte CDs darauf und Fotos aus dem Diesseits, weiße Muscheln und Steinchen mit Aufschriften wie „Du fehlst“, Häschen, Engelchen und Herzchen aus Ton. Zu einem Grab gehörte eine bunt gestrichene Gartenbank, auf der der Name der Toten stand, Lola. Die Bank war, wie auch die Gießkannen, mit einem Schloss gesichert. Auf manchem Grab prangte ein „Nutzungsrecht abgelaufen“-Schild. Als der Nieselregen stärker wurde, glaubte ich, der Himmel würde weinen.

Ein Grabspruch, den ich kurz vor dem Ausgang sah, gefiel mir besonders gut: „Er ist fürwahr ein Mensch gewesen.“ Allein dafür hat sich der Spaziergang im Regen gelohnt. Barbara Bollwahn

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