Berliner Szenen: Auf dem Dach
Hutverlust
Es sieht gefährlich aus, was die beiden da auf dem Dach machen. Sie – ein Paar um die 50, vermutlich Touristen aus der Ferienwohnung mit Dachterrasse – stehen an der Kante des Dachs. Vor ihnen schräg nach unten verlaufende rote Dachpfannen, an deren Ende eines dieser kleinen Gitter, die nach unten drängende Schneemassen aufhalten sollen. Heute, 20 Grad, Sonne, liegt hier kein Schnee. Sondern ein Strohhut. Hellbraun. Melonenform.
Das Paar holt einen Gartenschlauch. Wozu auch immer man auf dieser Dachterrasse einen Gartenschlauch deponiert hat, viele zu wässernde Pflanzen gibt es nicht. Sie legen den Schlauch in eine Schlaufe, und jetzt sieht es ein bisschen nach Rodeo aus: Schlauch werfen, hoffen, dass der Hut getroffen wird, Hut hochziehen.
Es funktioniert nicht. Es kann nicht funktionieren, weil die Dachpfannen sich überlappen, zentimeterhohe Hindernisse bilden, an denen der Hut hängen bleibt. Werfen. Nichttreffen. Werfen. Treffen. Zehn Zentimeter ziehen. Hut hängt, Schlauch rutscht ab. Neuer Wurf. Jedes Mal sieht es so aus, als würde die werfende Person gleich das Gleichgewicht verlieren und nach vorne stürzen. Zwanzig Minuten geht das so. Muss ein besonderer Hut sein.
Strategiewechsel. Der Gartenschlauch soll den Hut nicht mehr nach oben ziehen, sondern in die Ecke drängen. Am Schneegitter vorbei. Das könnte klappen. Der Hut bewegt sich – ein bisschen. Und dann wieder nicht. Die Frau scheint derweil das Interesse verloren zu haben, macht Spaziergänge auf dem Dach. Der Mann wirft weiter.
Irgendwann müssen die beiden wieder zurückgeklettert sein. Später wirft die Frau noch einmal einen prüfenden Blick von der Terrasse in Richtung Hut. Bald darauf bewohnen neue Touristen die Wohnung. Der Hut ist immer noch da. Svenja Bergt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen