Berliner Szenen: Nicht gut
Heuschnupfen
Es geht mir nicht gut.
Der Heuschnupfen hat mich im Würgegriff. Er hält mich mit einem Arm im Schwitzkasten und macht mit den Fingerknöcheln der anderen Hand so oben auf meinem Kopf rum, dass ich Druckkopfschmerz kriege und Erstickungsangst. Er drückt mir mit den Handballen die Augen in den Kopf und lässt Ameisen über mich laufen. Er klebt mir nachts die Augenlider mit Sekundenkleister zu. Er ist ein elendes Mistvieh!
Es geht mir nicht gut.
Meine Lippen sind so spröde, dass Leute, die mit mir geknutscht haben, nachher Hautfetzen husten.
Es geht mir nicht gut.
Genau zum ersten April hat das angefangen. Sehr lustig! Ich lache mich halb tot.
Seither muss ich bei geschlossenen Fenstern schlafen und Tabletten nehmen, die wirken wie Valium. Levocetirizin heißt das Zeug, der neue heiße Scheiß, angeblich besser verträglich, leichter dosiert, überwindet die Schädel-Hirn-Schranke nicht und macht deshalb nicht müde.
Angeblich. Theoretisch.
Mich – macht – das – müde.
Ich laufe durch die Gegend wie ein Zombie. Ein sehr – langsamer – Zombie.
Meine Reaktionsgeschwindigkeit ist die eines Faultiers auf Haschkeksen. Kinder werfen mir Dinge an den Kopf und rennen schreiend weg. Eh ich die Faust zum Schütteln beim Schimpfen erhoben habe, sind die Blagen längst zu Hause mit dem Abendbrot fertig.
Es geht mir nicht gut.
Bald brauche ich wieder Stützräder an meinem Fahrrad, damit ich nicht umfalle, weil ich so langsam fahre, dass die Fliehkraft aussetzt.
Leute sprechen mich im Supermarkt an, ob ich geweint habe oder mir schlecht sei.
„Du siehst so müde aus“, sagen sie. „Geht’s dir nicht gut?“
„Nein!“, rufe ich mit letzter Kraft. „Es geht mir nicht gut!“
Lea Streisand
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