Berliner Szenen: Technische Verschwörung
Zeitsprung
Der Morgen ist voller Widerstände. Der Radiowecker schaltet auf höchste Lautstärke und lässt sich nicht mehr ausschalten. Der Knopf versagt. Das macht auch der Knopf meines Handys, jedenfalls heute, denn das macht er immer nur zeitweise, in seinen mürrischen Phasen. Dann muss ich es nachts auf lautlos stellen.
Meine Ex hatte mal ein Handy, das statt meiner neuen irgendwelche alten Kurznachrichten von mir empfing. Statt also die von heute bekam sie eine aus dem letzten Oktober. Das war seltsam, weil es so einen Zeitsprung in unserer Kommunikationsgeschichte (mithin im Verlauf unserer Beziehung) gab, fast wie in Science-Fiction.
Eine coole Verschwörungstheorie würde jetzt zeigen, wie die Beziehung genau daran scheiterte – und welche Geheimdienste da weshalb in unsere Privatangelegenheiten funkten. Am Ende saß der Fehler aber nur in der Kurzmitteilungszentrale, die vergeblich auf automatische Empfangsbestätigungen wartete.
Andere Handys machten andere Fehler. Eines empfing Buchstabensalat, wo ursprünglich Umlaute standen. Bei einem dritten funktionierte die GHI4-Taste nicht, sodass entweder reduzierte Meldungen geschickt wurden („reduzerte Meldunen“) oder welche, die diese Buchstaben geschickt zu umgehen suchen („Freund, alles klar?“– siehe auch den bald erscheinenden „SMS-Roman ohne G, H und I“). Über Fehlfunktionen der Autokorrektur T9 gibt es ganze Webseiten zum Mitlachen.
In der analogen Welt lauern noch ganz andere Fehler. Die Kirchenuhr im Küchenfenster läuft noch auf Winterzeit, im Kühlschrank fehlen die Bananen, und bei der Krankengymnastik stellt sich heraus, dass ich an bestimmter Stelle eine verkürzte Muskulatur habe. Deswegen gehe ich so komisch. René Hamann
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