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Berliner SzenenStadtErkundung

Vor dem Regen

Sie grinsten und streckten mir ihre Fuckfinger entgegen

Um die Stadt, in der ich seit 20 Jahren lebe, besser kennenzulernen und nicht immer dieselben Orte aufzusuchen, bin ich mit dem Rad eine Stunde in südöstlicher Richtung gefahren. Irgendwann bestand die Besiedlung nur noch aus Kleingartenvereinen mit Namen wie „Einsamkeit“ oder „Letzte Hoffnung“. Ich kreuzte den Teltowkanal und fuhr in einen kalten Wald aus Kiefern. Links erblickte ich die drei Schlote des städtischen Krematoriums.

Die beiden Toreinfahrten sahen aus wie von Albert Speer. Ich überlegte, warum es zwei identische Einfahrten gab, kam aber nicht drauf. Obwohl es ein warmer Herbsttag war, fror ich. Endlich hatte ich den Wald durchquert. Froh, wieder am Licht zu sein, pfiff ich vor mich hin, eine kleine Melodie, sie kam aus einem Auto an einer Kreuzung. Zwischen geborstenem Asphalt wuchs Gras. Wieder überquerte ich einen Kanal. In der Mitte der Brücke hielt ich an, um die Nadel des Fernsehturms zu suchen, die irgendwo weit im Westen aufragen musste. Jemand hupte, ich drehte mich um und sah einen Pritschenwagen, zwei Männer hinter der Windschutzscheibe. Sie grinsten und streckten mir fröhlich ihre Fuckfinger entgegen.

Die von einem ehemaligen buddhistischen Mönch betriebene Meditationsplattform, die ich regelmäßig im Internet besuche, hat ein animiertes Video im Programm. Eine Figur fährt auf einem Einrad durch eine liebliche Gegend, der Himmel ist blau, die Vögel singen. Doch plötzlich ziehen Wolken auf, erst einige wenige, dann mehr, bis sie den Himmel vollständig bedecken und es zu regnen anfängt. Und der blaue Himmel? Was, wenn er für immer verschwunden wäre? Aber eine Wolke trägt die Figur wie ein Heißluftballon über die Wolkendecke – und siehe da: Der blaue Himmel ist immer noch da! Etwas ist faul an dieser Analogie. Sascha Josuweit

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