Berliner Szenen: Schnelle Luftzufuhr
Fächersprache
Der heiße Sommer stand ganz im Zeichen des Fächers. Ich hatte mir ein wunderschönes weißes kubanisches Exemplar mit roten Blumen gekauft. Auch im tropischen Berlin war er mein ständiger Begleiter. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen hatte ich Begegnungen mit anderen Fächerträgerinnen. Die erste trug sich im ARD-Hauptstadtstudio zu, als ich einen Termin für ein Interview über Kuba wahrnahm und mich am Empfang meldete. Während mein Besucherschein ausgefüllt wurde, wedelte ich mir Frischluft zu. Als ich später wieder am Empfang stand, hatte die Frau hinter der Trennscheibe ebenfalls einen Fächer zur Hand und erzählte, dass er zu den Hinterlassenschaften in einer Gartenlaube gehörte, die sie übernommen hatte. Dann sprachen wir noch darüber, dass Frauen in alter Zeit mit dem Fächer dem männlichen Geschlecht Zustimmung oder Ablehnung signalisierten.
Am nächsten Tag, ich fuhr mit der U-Bahn, saß mir gegenüber eine Frau, die sich ebenfalls Luft zufächerte. Sogleich entspannte sich eine Unterhaltung über die Fächersprache. Hält man den Fächer offen in der Hand, heißt das: Unterhalten Sie sich bitte mit mir! Dreht man ihn in der linken Hand, bedeutet das: Ich möchte Sie los sein. Fächelt man sich langsam Luft zu, signalisiert das: Ich bin verheiratet. Schnelle Luftzufuhr heißt: Ich bin verlobt.
Um die Frau besser verstehen zu können, setzte ich mich neben sie. Als würden wir uns ewig kennen, sprachen wir sogleich über Männer, denen nicht nur die Fächersprache nicht geläufig ist, sondern die auch zu wenig Sinn für Humor haben und nicht verstehen, dass man manchmal auch mit Studienfächern für Frischluft sorgen kann. Zum Abschied winkten wir uns mit den Fächern zu, die jetzt viele Monate keine Verwendung finden werden.
Barbara Bollwahn
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