Berliner Szenen: Lankwitz
Berlin ist wild und gefährlich. Und unsere AutorInnen sind immer mittendrin. Ihre schrecklichsten, schönsten und absurdesten Momente in der Großstadt erzählen sie hier.
Als vor ungefähr sechs Jahren der kleine Zeitungsladen gegenüber der Lankwitzer Kirche eröffnete und „Pressezentrum Lankwitz-City“ genannt wurde, hatte Lankwitz seine dörfliche Unschuld verloren. Das war vorerst alles. Die Platanen in der Gallwitzallee wuchsen, und ihre Früchte schlugen irgendwann nicht mehr gegen die Frontscheiben der Doppelstockbusse. Mittlerweile ist der Einzelhandel austauschbar geworden: Asia-Imbisse, ein Döner, ein Curry-Eck, ein Biomarkt, Blume 2000, ein dm. Der einzige, der durchzuhalten scheint, ist ein Laden aus dem letzten Jahrtausend namens Sommermeyer, in den man gehen kann, wenn man Besen oder Mülleimer braucht oder zu Hause irgendetwas kaputtgegangen ist.
Am Nachmittag treffe ich auf einem Spielplatz zufällig eine ehemalige Mitschülerin, die erzählt, dass sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern zurück nach Lankwitz gezogen sei. Ein Haus hätten sie, einen Garten, ein Auto. Meine Fresse, rutscht es mir heraus. Sie sieht mich ein wenig verblüfft an. Ich sage, ich sei erst gestern dort gewesen. Ich stand, sage ich, an der Bushaltestelle am Rathaus, was ja immerhin das Zentrum sei, zusammen mit vier grauhaarigen Frauen und einem blinden Mann, die sich angeregt darüber unterhielten, warum der Bus nun schon zwei Minuten Verspätung hätte, und wenn das das Zentrum eines Bezirks sei, dann sei das nichts für mich, auch nicht in Zukunft, dann besser Richtung Brandenburg und einen klaren Schnitt machen. Wir wohnen nicht im Zentrum, erwidert sie trotzig, sondern in einer sehr ruhigen Seitenstraße Richtung Lichterfelde-Ost. Jaja, sage ich, aber alle Straßen würden doch irgendwie von einem Zentrum zusammengehalten werden, oder? Sie sieht verärgert aus. Ich fühle mich schäbig. Und wo kommt dein Mann her, frage ich. Rostock, sagt sie. Rostock, sage ich, super.
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