Berliner S-Bahn-Chaos: Entschädigung hat Verspätung
Abgeordnete fordern zusätzliche Entschädigung für Kunden, SPD will sogar freie Fahrt für alle. Bahn meint: Wir werden etwas zahlen, aber wir verraten noch nicht, wie viel.
Die Bahn will sich noch nicht festlegen, wie sie ihre Kunden für das anhaltende S-Bahn-Chaos entschädigt. "Wir möchten erst einen Überblick haben über Art, Umfang und Dauer der Beeinträchtigungen des Betriebes", sagte Bahn-Vorstandsmitglied Ulrich Homburg am Montag im Verkehrsausschuss des Abgeordnetenhauses. Er war an Stelle von Bahn-Chef Rüdiger Grube gekommen, dessen Nichterscheinen die Politiker aller Parteien aufregte. Homburg sagte, derzeit könne man noch nicht absehen, wann die S-Bahn wieder nach Plan fährt. Das hänge davon ab, wie schnell etwa die Arbeit in den wiedereröffneten Werkstätten anläuft. Laut dem S-Bahn-Betriebsratsvorsitzenden Heiner Wegner wird die S-Bahn erst bis Ende dieses Jahres wieder im ursprünglichen Takt fahren.
Die S-Bahn hatte ihre Kunden zuletzt im Dezember für das anhaltende Verkehrschaos entschädigt. Jahreskarten- oder Abonnement-Inhaber fuhren einen Monat unentgeltlich. Zudem galt an den Adventswochenenden der Einzelfahrschein als Tageskarte.
Weil sich das Chaos aber viel länger hinzieht als zunächst angenommen, fordern Politiker nun weitere Entschädigungen. Der FDP-Verkehrspolitiker Albert Weingartner etwa verlangt freie Fahrt an zwölf Wochenenden und eine Entschädigung für Stammkunden. Die Grünen-Abgeordnete Claudia Hämmerling will eine generelle Fahrpreissenkung um 10 Prozent. Christian Gaebler, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, geht noch weiter: "Setzen Sie das Kontrollpersonal für die Information ein, da ist es wesentlich besser aufgehoben", sagte er. Wenn nicht mehr kontrolliert wird, dann kann das nur eines bedeuten: Freie Fahrt für alle.
Die S-Bahn ist derzeit nur mit etwa der Hälfte ihrer Flotte unterwegs, weil die Fahrzeuge viel häufiger gewartet werden müssen. Dies ist notwendig, weil die Räder sich als weniger beständig als gedacht herausgestellt haben. Alle 14 Tage findet nun etwa eine Wirbelstrommessung an den Rädern statt, dadurch sollen Schäden an den Rädern schnell erkannt werden. Für diese zusätzlichen Prüfungen fehlt es jedoch an Kapazitäten in den Werkstätten.
Homburg nannte die Ausfälle "nicht akzeptabel". Jeder Tag, den die Einschränkungen länger andauerten, sei auch für das Unternehmen teuer: Es entstehe täglich ein Schaden von mehr als einer Viertelmillion Euro. Homburg nahm auch die Mitarbeiter der S-Bahn in Schutz, die für die Probleme nicht verantwortlich seien: "Die Schuld liegt eindeutig in Management-Fehlentscheidungen." Bis Ende Februar will die Bahn einen Untersuchungsbericht vorlegen und die Verantwortlichen benennen.
Die S-Bahn fährt seit Sommer 2009 wegen Problemen an Bremsen und Achsen nur eingeschränkt. Derzeit wird nicht einmal der Notfahrplan eingehalten: Am Montagmorgen war es aufgrund von Weichenstörungen zu weiteren Verspätungen ge-
kommen.
BAHN-VORSTANDSMITGLIED HOMBURG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind