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Archiv-Artikel

Berliner Platten Mittelalterlicher Wumms und multikulturelle Ironie: Corvus Corax und Culcha Candela haben in aller Gründlichkeit ihre Platten gemacht

Corvus Corax: „Cantus Bura-nus“ (Roadrunner/Universal)Culcha Candela: „Next Generation“ (Urban/Universal)

Wenn der Deutsche was macht, dann macht er es vor allem gründlich. Weswegen es nirgendwo so original mittelalterliche Mittelaltermusik gibt wie hierzulande und wahrscheinlich nicht mal auf Jamaika so bekiffte Reggae-Bands. Hier – und bei der Alliteration in C im Bandnamen – hören sie aber schon wieder auf, die Gemeinsamkeiten von Corvus Corax und Culcha Candela.

Pünktlich zum 15. Geburtstag gönnen sich Corvus Corax, nach Eigeneinschätzung die Begründer der modernen Mittelalterszene, ihr eigene Carmina Burana. Auch Carl Orff hatte nur einzelne Lieder der 800 Jahre alten und über 240 Texte starken Sammlung neu vertont, aber trotzdem haben seine Erben dafür gesorgt, dass die Berliner Band wenige Wochen vor der Veröffentlichung auf Titelsuche gehen musste: Trotzdem stieg „Cantus Buranus“ auf Platz 15 in die Charts ein.

Wie nicht anders zu erwarten dudeln nun also die Dudelsäcke, scheppern die Schalmeien und leiern vehement die Drehleiern. Aber nicht nur das: Ein Orchester, ein Chor, insgesamt 160 Musiker sorgen dafür, dass der mittelalterlichen Wumms sinfonisch abgefedert wird. Das klingt bedrohlich und schwerblütig, mitunter aber halt auch, als röhre eine Horde Mönche auf Viagra gegen den Zölibat an. Gewaltig ist es auf jeden Fall, dieses, so muss es wohl genannt werden, Werk.

Während sich die Recken von Corvus Corax vielleicht einen Tick zu ernst nehmen, finden Culcha Candela den angemessenen Abstand zwischen Ironie und Wahrhaftigkeit. Zwar versteht die siebenköpfige Offbeat-Eingreiftruppe allein ihre Zusammensetzung aus Mitgliedern mit Wurzeln in Uganda, Polen, Kolumbien, Korea und Deutschland als Statement für die multikulturelle Gesellschaft und hat seit ihrer Gründung vor allem live überzeugt, aber schon mit dem Debütalbum vom vergangenen Sommer wurde eine neue Qualität im deutschen Reggae erreicht: Erfolgreich wurden sozial relevante Texte mit dem Willen zur Party in Einklang gebracht.

Nun folgt „Next Generation“ und der Beweis, dass dieser Spagat bei weitem nicht mehr so weit erscheint wie noch vor Jahresfrist. „Wir brennen alles nieder“, singen Culcha Candela in genretypischer Großmannssucht, aber halt auch, „dass Schwarze nicht Neger heißen“ und von verdreckten „Fixer-Nadeln“. In einem Song schlüpfen sie in die Rolle eines Strichers und selbst ihre romantischen Versuche haben einen doppelten Boden, bricht die Liebe doch erst „auf den zweiten Blick“ aus.

Mal denkt man, Gentleman zu hören, mal Patrice, mal Seeed. Und was Culcha Candela an elektronischen Dancehall-Elementen fehlt, machen sie mit Einflüssen aus Salsa und Soul, HipHop und afrikanischer Folklore wieder wett. Schließlich werden die verschiedenen Sprachen mitunter so herzallerliebst miteinander verschränkt, dass ausgeleiertes Multikulti endlich eine selbstironische Stimme erhält. Problematisch könnte diese Vielfalt höchstens werden, wenn sie zur Beliebigkeit verkommt. Aber, wie gesagt, der Deutsche, wo immer seine Eltern dereinst auch herkamen, macht das schon schön gründlich. THOMAS WINKLER