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Archiv-Artikel

Berliner Platten Die Liebfauenmilch der menschlichen Pop-Barmherzigkeit. Frisch ausgeschenkt von Toni Kater und Diane, die heute auch im Postbahnhof einen Auftritt hat

Diane: „Das Album“ (Warner) Toni Kater: „Futter“ (it sounds/ Sony BMG)

Neuerdings ist Diane Weigmann auch noch promovierte Popmusikerin. Nach mehr als einem Jahrzehnt und vier Alben mit den Lemonbabies, nach diversen Lohnschreiberdiensten für Kollegen und Kolleginnen, nach dem Erreichen des dritten Lebensjahrzehnts hat sie sechs Wochen lang das „Kontaktstudium für Popularmusik“ in Hamburg absolviert. Nun könnte man bösartig behaupten, ihr Solodebüt „Das Album“ sei ihre allzu akademisch geratene Abschlussarbeit.

Denn so beneidenswert unbeschwert, so nett bis zur Harmlosigkeit kommt diese Platte daher. Gitarren werden gestreichelt, das Schlagzeug vorsichtig geklopft, Synthies fiepsen wie junge Hunde und Weigmann höchstselbst spielt sogar die gute, alte Sitar. „Ich bin ein Happy-End-Mädchen“, lässt Weigmann offiziell verlauten und so gelingt ihr seelischer Wiederaufbaupop wie „Du kannst alles“, eine schaumgebremste Frühlingshymne mit „Freitag im Mai“ und natürlich die aktuelle Single „Das Beste“, deren Refrain auf dem eigenen Zuckerguss kleben zu bleiben droht. Im Booklet der CD hüpft, singt, tanzt, träumt Weigmann vor knallig bunten Hintergründen. Beneidenswert, so viel Frohsinn, auch durchaus hintergründig betextet, aber leider dudeln sich die einzelnen Songs recht unterschiedslos weg und verweigern sich beständig in die Gehörgänge zu fressen. Versteckte Weigmann bei den Lemonbabies diese herzallerliebste Belanglosigkeit noch hinter englischsprachigen Texten, kommt sie nun voll zum Tragen. Das allerdings hat dann ja auch seine Qualitäten: Denn was keinem wehtut, tut womöglich einigen gut. Beim Konzert zum Welt-Suizidpräventionstag heute im Postbahnhof (20 Uhr) wird Diane unter anderem mit Astrid North auftreten.

Ebenfalls ein Fläschchen Liebfrauenmilch verabreicht Toni Kater mit ihrem zweiten Album „Futter“. Denn obwohl sie offensichtlich Abstand sucht von ihrer Anfangszeit, in der noch 2raum-wohnung als Mentoren und Produzenten fungierten, finden sich doch auch hier noch ausreichend elegische Gesangslinien, melancholische schubbernde Gitarren und sorgsam gewählte elektronische Einsprengsel. Sogar ein Song vom ersten Album ist vertreten, denn die neue Version von „Liebe ist“ dient demnächst als Beschallung für eine Unterwäsche-Werbung.

Auf der Strecke geblieben sind allerdings der Wille, jede Gelegenheit zum pathetischen Refrain zu nutzen, und der Versuch, den eh nie wirklich gelungen Spagat auf den Dancefloor zu schlagen. Nun trödeln manche Songs einfach aus, schuckelt der Rhythmus schon mal lateinamerikanisch, finden sich in „Gut sein“ sogar eine Rockgitarre und das Wort „Scheiße“, aber vor allem feiert doch das Liedermachertum eine recht gelungene Modernisierung. Allerdings stützt sich die mittlerweile 28-Jährige mitunter allzu sehr auf Versatzstücke aus dem Fundus für ausgelutschte Metaphern. Klischees wie „Jede Bewegung ist wie Feuer auf Schnee“ verderben bisweilen den abgeklärten Gesamteindruck des Albums. Womöglich sollte Toni Kater – wie die Kollegin Weigmann – einen Kurs belegen: in lyrischem Ausdruck. THOMAS WINKLER