Berliner Platten : Beim atelierTheremin darf der Krautrock zu seinem besseren Verständnis auch in Zungen reden
Eine Klangschale, wie schön. Der erste Ton der neuen CD von atelierTheremin schwingt sich perkussiv hoch, schon kratzt eine Geige im Hintergrund, wird gedoppelt, zieht melodische Schleifen, die über Effektgeräte und viel Hall allmählich das Hirn erreichen und dort weiterwandern. Irgendwo schwebt eine Synthesizer-Wolke aus dem Roland System 100M vorbei, wiederholt sich ein Bass und läuft quer über sämtliche Spuren, um nach drei, vier Minuten hinter einer Wand aus Noise zu verschwinden. Mittendrin ist noch Platz für die Stimme von Megan Gay, die sonor ein paar Verse von William Shakespeare vorträgt. Später wird sie auf Stücken mit Titeln wie „Kosher Karma“ per Vocoder in Zungen reden.
Was wird hier gespielt – innere Reise? Meditation Mass? Ja, das ist „Psycho Acoustic Processor“ mit seinen acht elektronischen Trips auch, in Erinnerung an die Krautrockeuphorie der frühen Siebzigerjahre. Deshalb kann ein Stück wie „Empty Handed“ eben mal vom starren Boogie-Schema in den psychedelischen Äther abdriften und das übersteuerte Intro zu „Happy Now“ nach Garagenbeat klingen, bevor die Collage zum Gesang des Countertenors JJ Jones atonal in Richtung Stockhausen abbiegt. Schließlich war Krautrock immer beides, massenhysterisch stampfender Rock ’n’ Roll und experimentelle Klanggestaltung.
Zugleich weiß Manfred Miersch, der als Bandleader, Produzent und Multiinstrumentalist für den opulenten Kathedralensound zuständig ist, dass die Liebe zum Retro natürlich nicht mehr die reine Lehre sein kann. Zumal schon 1970 die Grenzen zwischen Schwabinger Drogen-, Berliner Polit- und Düsseldorfer Performance-Fraktion eher verschwommen waren. Wenn er auf der Homepage seines Labels www.krautopia.com von Krautrock spricht, dann als einem zu Recht abgeschlossenen Kapitel der Musikgeschichte: Cluster, Amon Düül, Can, Popol Vuh – da werden die Listen lang, da freut sich der vergangenheitsversessene Nerd vor seiner Hifi-Anlage. Wie aber lässt sich das Bauprinzip dieser spezifischen Tracks, das Mäandern zwischen Minimalismus, Improvisation und Prog-Schmock in die Gegenwart herüberretten? Wo liegt der Unterschied zwischen sentimentalem Eingedenken und lustvollem Revival?
atelierTheremin beziehen sich dabei bewusst auf eine bislang noch unaufgearbeitete Linie von Musik, die sich ihre Bündnisse in der bildenden Kunst sucht. Nicht von ungefähr hat Miersch in den Neunzigerjahren die eigene Kunstproduktion systemisch durchdekliniert und mit Ausstellungsbeiträgen oder Internetprojekten nach den internen Strukturen des Betriebs gefragt.
Dieser konzeptuelle Zugang spiegelt sich auch in den Kompositionen wieder: Die Musik von atelierTheremin ist weniger eine psychedelische Orgie im Glauben ans Gesamtkunstwerk, sondern die Analyse davon, wie man mit Loops und Wiederholungen solche enthusiastischen, tranceartigen Zustände hinbekommt. Krautrock aus kritischer Distanz sozusagen. Funktioniert trotzdem, hervorragend. HARALD FRICKE