Berliner Platten : Hier herzerweichende Melodien mit dem Blick nach vorn, weg von der Joanbaezhaftigkeit und da der wehmütige Blick zurück zum Berliner Brett: Kitty Solaris versus Tresor
Berlin ist eine große Stadt. Mit ausreichend Platz für ein so weites Spektrum, dass diese Kolumne diesmal einen Spagat versuchen darf vom zart-verträumten Geklimper ohne Plattenvertrag bis zu einer renommierten Institution im Bummbumm-Gewerbe, zwischen Kitty Solaris und der neuesten Compilation von Tresor Records.
Kitty Solaris feiert morgen mit einem Konzert im Magnet nicht nur Heiligabend, sondern auch die Veröffentlichung ihrer Maxi „2 Refrains“. Dabei werden auch Stücke ihres erst im neuen Jahr erscheinenden Albums „Future Air Hostess“ zur Aufführung gelangen. Dies soll nicht unerwähnt bleiben, weil doch eine erhebliche Entwicklung zwischen beiden Platten zu erkennen ist: Die fünf Stücke der Maxi sind doch vor allem verschmust mit ihren gezupften Akustikgitarren und vorsichtigen Pianoklängen. Beim Konzert wird aber auch genau jenes Schlagzeug zum Einsatz kommen, in dessen Sog aus Lagerfeuerromantik durchaus flotter Gitarrenpop entsteht und sich nahezu alle Joanbaezhaftigkeit verflüchtigt. Damit entwickeln sich auch die Themen vom passiven „Rescue Me“ zum forscheren „Shake It, Baby“, wird aus der arglosen Beobachterin Kitty Solaris die selbstbewusste Kommentatorin. Dass dabei, ob in der bisweilen kitschigen Phase eins oder in der von mehr Stilsicherheit geprägten Phase zwei, jederzeit einige herzerweichende Melodien abfallen, darf nicht unterschätzt werden.
Liebevolle Melodien kann man mittlerweile, und das ist dann doch eine kleine Überraschung, auch auf einer Zusammenstellung aus dem Hause Tresor finden, die die letzten Wochen des gleichnamigen und legendären Clubs feiert, aus dem die Plattenfirma dereinst hervor ging. Die Ehre, Compilation Nummer 13 zu eröffnen, kommt gar Stewart Walker zu, dem seit einigen Jahren in Berlin lebenden US-Amerikaner, der lange schon keinen Minimal Techno mehr betreibt, sondern atmosphärisch dichte Tracks voller warmer, fantasievoller Klänge baut. Diese Entwicklung mag exemplarisch die des Labels verkörpern, das längst mehr ist als die für das berühmte Berliner Brett zuständige Verwaltungseinheit.
Trotzdem feiert „It’s Not Over“ mit meist exklusiven Stücken all die vielen Stile, der sich in 14 Jahren Tresor aus dem klassischen Techno-Sound der Rave-Zeit entwickelt haben. 14 Jahre Tresor, 2 CDs, 25 Tracks, haufenweise Produzenten und DJs, darunter Steve Bicknell, Sender Berlin, Monika Kruse und Joey Beltram gleich doppelt – auch wenn nur ein geschätztes Fünfhundertdreiundvierzigstel derer, die mal auflegt haben im Tresor, auf den beiden CDs vertreten sein können, geht die Compilation doch als Vermächtnis durch. Im Booklet haben die Tresor-Erfinder Dimitri Hegemann und Johnnie Stieler ihrem Baby einen Abschiedsbrief verfasst und erinnern sich wehmütig an das „Phänomen Tresor“ und beklagen den „Kapitalismus“, der für sein Ende im vergangenen April verantwortlich war. Am Mittwoch wird ein letztes Mal im Maria das Exil begangen: Angeblich ist ein neuer Ort gefunden, in dem der alte Vibe wieder aufleben soll. THOMAS WINKLER