Berliner Platten : Die Achtziger als Orientierungshilfe: De/Vision geben Depeche Mode als anmutige Armenspeisung und Sender Berlin wollen bei Techno alle Viere auch mal ungerade sein lassen
Schwermütig zu werden, das ist momentan nicht allzu schwierig. Ein Blick auf den Gaszähler ist da meist völlig ausreichend. Alternativ kann man aber auch „Subkutan“ auflegen, das neue Werk von De/Vision. Geschrumpft zum Duo, haben Steffen Keth und Thomas Adam für dieses, ihr zehntes Album zwar erstmals seit einem Jahrzehnt wieder einen deutschen Text verfasst, aber ansonsten ist alles beim Alten: De/Vision sind die beste Adresse hierzulande für soliden Synthie-Pop mit Wurzeln in den Achtzigern und verträumter bis trübsinniger Grundeinstellung.
Ausgerechnet dieser einzige deutsche Song ist zwar ein peinlicher Ausrutscher, aber ansonsten tun die beiden tapfer ihre Pflicht: Bedienen mit Hymnen den pubertierenden Hang zur Romantik; streuen manch stumpfen Sequenzer-Beat ein, der sich auf einem Stroboskop-bestrahlten Tanzboden prima machen sollte; samplen ein paar seltsame Geräusche, um an jene Zeiten zu erinnern, in denen diese Musik einmal Pop-Avantgarde war; integrieren ein paar Gitarren, weil das immer ganz gut kommt; und deklinieren vor allem mal wieder alle Formen melancholischer Gefühlslagen durch. So mögen De/Vision kaum mehr sein als Depeche Mode für Arme, aber die sind schließlich erfolgreich genug, dass mehr als ein paar Krümel abfallen. Man muss den beiden Hessen mit Wohnsitz Berlin allerdings zugestehen, dass die Kopie mit 17 Jahren Bandgeschichte nun schon bald so altgedient ist wie das Original, und ihr Sound nahezu so anmutig und wohlfeil programmiert daherkommt. Bei einer gemächlich blubbernden Ballade wie „No Tomorrow“ erinnert die Stimme von Steffen Keth gar an die von Dave Gahan. Na, wenn das nicht mal einen Seufzer wert ist.
Eher ein rhythmisches Zucken dagegen provoziert „Unequal Arts“, das neue Werk von Sender Berlin. Auch ihre Vorbilder stammen aus den Achtzigern, auch ihre Einflüsse aus der elektronischen Musik, orientierten sich Hendrik Vaak und Torsten Litschko doch stets an den Detroiter Urvätern des Techno. Auf ihrem dritten Album allerdings bemühen sie sich darum, den klassischen Sound nicht festzuschreiben, die geraden Rhythmen und kühlen Sounds um neue Dimensionen zu erweitern. Immer wieder werden wärmere Klänge eingeschoben, Soundlandschaften geschaffen anstatt nur dem Diktat des Tanzbeats zu gehorchen, gar Broken Beats ausprobiert.
Weil „Unequal Arts“ als Dual-Disc aus herkömmlicher CD und zusätzlicher DVD daherkommt, finden sich auf der Rückseite drei Filmchen und einige Fotogalerien: Impressionen von einer Japan-Tour, von einem gemeinsamen Auftritt mit John Peel (der im Oktober 2004 Verstorbene legt natürlich „Teenage Kicks“ auf) im Jahr 2002 und schließlich von einem Gig im Tresor, dem Club, mit dem Sender Berlin immer ausdrücklich verbunden waren. Den Tresor gibt es nicht mehr, aber die Musik, die dort gespielt wurde, die ist uns erhalten geblieben. „Unequal Arts“ erinnert an die alten Zeiten. Und das ist dann doch noch ein Grund, ein klein wenig wehmütig zu werden. THOMAS WINKLER