Berliner Platten : Hang zum Größenwahn, Punkrock aus der Zeitmaschine und herzerwärmende Songs: die neuen Platten von Virginia Jetzt!, She-Male Trouble und Bee And Flower
Es war einmal, da standen Virginia Jetzt!, alle vier von ihnen, vor dem schnieken Gebäude ihrer Plattenfirma Universal und schworen sich: Den Laden übernehmen wir. Es war ironisch gemeint, natürlich. Aber dieser leichte Hang zum Größenwahn, der hat die Gitarrenpopband nicht nur zu Stefan Raab geführt, der ist auch wieder zu hören auf „Bitte bleib nicht, wenn Du gehst“, einer EP, die die Wartezeit auf das nächste Album verkürzen soll. Die vier Songs schrammeln sehr von sich überzeugt daher, eine Ballade gibt’s auch, die Melodien sind wie gewohnt raumgreifend und der Duktus ist nicht unbedingt filigran, sondern sucht erfolgreich den kürzesten Weg zwischen Slogan und Allgemeinplatz: „Alles ändert sich“, singt Nino Skrotzki, aber noch gehört der Unterhaltungskonzern dem bösen Kapital und nicht der romantischen Melodie.
Es war einmal, da taten sich vier Berliner und eine Berlinerin zusammen, gaben sich aufgeräumte Pseudonyme wie Andy Gomorrah, V. V. Persico oder Carol la Rock, suchten sich den Bandnamen She-Male Trouble und bestiegen anschließend eine Zeitmaschine in die späten Siebzigerjahre. Dort erlebte der Punkrock gerade eine frühe Mutation: Aus Schrammelpunk wurde Hardcore, weil ein paar Gitarristen entgegen ihrer ursprünglichen Absicht doch noch gelernt hatten, ihr Instrument zu bedienen. Andächtig studierten She-Male Trouble das Ambiente, flogen zurück ins Berlin der Jetztzeit und stellen seitdem mit viel Liebe zum Detail und einer veritablen Rockröhre als Sängerin diese Wendezeiten nach. Auf ihrem zweiten Album „Off The Hook“ gelingt das wieder prächtig, ohne dass hier irgendwas neu definiert oder innovativ erneuert wird. Schön war die Zeit. Das Fazit: Alles ändert sich, nur Punkrock bleibt Punkrock.
Es war einmal ein New Yorker Duo, das fand die deutsche Hauptstadt so nett (und wahrscheinlich auch preiswert), dass man sich eine Zweitwohnung zulegte. Seit 1999 gibt es Bee And Flower, seit 2004 leben Dana Schechter und Roderick Miller nun in Berlin. Ihr zweites Album haben sie bereits hier aufgenommen, aber wann das erscheint, ist noch unklar. Bis dahin muss man mit einer Wiederveröffentlichung des Debüts „What’s Mine Is Yours“ vorlieb nehmen. Aber wer will, der kann bereits hier die graubraune Trostlosigkeit eines Berliner Winters hören. Meistenteils aber, mit Streichern und Glockenspiel, sentimental verwehter Slide-Gitarre und andächtig gespieltem Schlagzeug, viel Americana und ein wenig französischem Esprit, klingen Bee And Flower weder nach neuem Wohnsitz und schon gar nicht nach alter Heimat, weil nämlich überhaupt nicht großstädtisch. Die Songs sind niemals hektisch, sondern stets getragen, eindeutig melancholisch und gar nicht tanzbar, und die Befindlichkeiten, über die sie sich ausbreiten, passen dazu: Trauer und Verletzungen, Einsamkeit und die niemals sterben wollende Hoffnung auf Liebe. Das klingt mitunter so pathetisch, wie es sich hier liest, macht dafür aber ganz warm ums Herz. Komisch, dass das immer wieder funktioniert, das ändert sich wohl nie. THOMAS WINKLER