Berliner Platten : Der schwerelose Postrock von Contriva verleiht Flügel – Pets Elektro-Pop fehlt der Glamoureffekt
Irgendwann war es mal nötig geworden, die Nahtstellen zwischen Rock und Dancefloor aufzusuchen, die Grauzone zwischen Song und Track zu erforschen. Mit Gitarrenrockbesetzung ran an die Strukturen aus der Beatbox. Nun ist erkundet, was zu erkunden war, das Ganze abgelegt als Indietronic, aber Contriva gibt es immer noch. „Separate Chambers“ ist nach dreijähriger Pause das neue Album des Quartetts, dessen Mitglieder in der Zwischenzeit als Solisten (Gitarristin Masha Qrella) und in ihren anderen Projekten wie Mina, NMFarmer, Jersey, Notwist, Saroos und Noel tätig waren. Umso unverständlicher wirkt auf den ersten Blick, warum nun ausgerechnet Contriva wieder belebt werden musste. Aber hört man „Separate Chambers“, erübrigt sich alles Unken, denn niemals waren sich die Vier ihrer Mittel so sicher: Natürlich ging es bei Contriva schon immer darum, Instrumental so viel Pop wie möglich mitzugeben, sicherlich konnte man bei ihnen schon immer das warme Glühen eines Röhrenverstärkers hören. Aber während bislang eher eine wie selbst gewählte Traurigkeit ihre Musik dominierte, kultivieren sie nun eine freundliche Melancholie und mitunter bricht geradezu Fröhlichkeit aus. Der Track „Say Cheese“ heißt nicht nur so, sondern grinst vor lauter Gitarrenflirren und gezupfter Seligkeit so selbstverliebt vor sich hin, dass die Byrds neidisch werden würden. Sogar gesungen wird, ganz selten zwar, aber doch so viel wie nie zuvor bei Contriva. Kurz: Postrock, das mag ja so was von postmortem sein, aber solange er so schwerelos klingt, so federleicht und reuelos, dann soll ruhig auch dieser Tote wieder zum Leben kommen dürfen.
Auch schon nicht mehr allzu frisch fühlt sich der Elektro-Pop an, an dem sich Pet versuchen. Mit leicht quäkigen Synthies und zackigen Gitarrenriffs werden die 80ies aber so erfolgreich wieder belebt, dass John Peel vor seinem Ableben ihr Debütalbum gern und oft auflegte. Für den Nachfolger „Rewind The Sofa Lady“ hat die Band um Andre Abshagen ihren Sound nicht grundsätzlich verändert, aber leicht eingeebnet und von allzu grellen Ecken befreit, dafür ein paar so flotte Songs mit Ohrwurmqualitäten geschrieben, dass man sich unweigerlich fragt, was eigentlich aus Zoot Woman geworden ist. An deren Glamour-Potential müssen Pet allerdings noch arbeiten – trotz Refrainzeilen wie „Baby, you’re dynamite“ und auch wenn sich die Heimatangabe der Band auf MySpace bereits liest wie die Filialliste eines schicken Modemachers: Berlin – Milano – London. Nach letzten Informationen leben Abshagen und Keyboarderin Miss Mono in Berlin, Schlagzeuger Dodo Nkishi und Bassistin Stefania Vacca in Mailand – oder doch London? Das Album wurde jedenfalls in nur zwei Wochen in Berlin eingespielt und hat seine besten Momente ausgerechnet dann, wenn Pet ihren bisweilen überbordenden Willen zum Pop aufgeben und ganz entspannt einem Groove folgen, die Instrumente sich vorsichtig umschleichen lassen und die Songstrukturen aufbrechen. Das ist dann entspannend, das ist wärmend und schön, das ist, ähem, fast schon Postrock. THOMAS WINKLER