Berliner Platten : Drei Akkorde gegen den Frust: Punkrock kann Leben retten
Es gibt so Tage, an denen kommt man müde und zerstört nach Hause und schaltet gefrustet den Fernseher an. Es laufen die Nachrichten, und man sieht Menschen, die sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Da hilft nur eines: Stereoanlage anwerfen und Musik aufdrehen. Lieder wie „It’s okay not to feel okay“ von den Brainless Wankers können in solchen Situationen Leben retten. Fette Gitarren, zwei Trompeten und die Stimme von Sänger Olli Reinert, die einem ins Ohr singt: „So get a sense of humour soon!“ sind genau das Richtige, um gegen winterbedingte An-der-Welt-Verzweiflung vorzugehen. Auch wenn ihr Bandname anderes vermuten lässt (engl. für „Hirnlose Wichser“), üben die Brainless Wankers intelligent und witzig Sozialkritik ohne dabei in pathetisch-langweiliges Moralisieren zu verfallen. Schlagartig verzeiht man den Punkrockern, dass sie 2005 mit Sido auf dem Bundesvision Songcontest auftraten. Aber immerhin führten sie damit die Doublebass im deutschen Privatfernsehen ein, wie Sänger Olli stolz verkündete. Und die gemeinsame Herkunft aus Berlin-Reinickendorf verbindet wohl selbst so unterschiedliche Musiker wie die Punkrocker und den Rapper. Das neue Brainless Wankers-Album „If everything else fails“ ist die perfekte Platte für alle, die sich in dem Gefühl allein gegen Windmühlen zu kämpfen durch den wintertrüben Alltag manövrieren. Die Musik geht straight nach vorne, und die Texte reichen die verbale Motivation nach. Denn wie sagte Olli: „Wer nicht auch mal feiert, kann keine Revolution machen und wer nur Party macht auch nicht.“ Die Brainless Wankers stehen für beides: Party und Revolution.
Textlich tun sich die Jungs und Mädels der Berliner Skaband Tiefenrausch auf ihrer neuen Platte „Enfant Terrible“ schon schwerer. Die Häufung von AABB-Schema-Reime erinnert an deprimierte Fünfzehnjährige, die an sich und der Welt zweifelnd tief schürfende Gedichte schreiben. Aber genau das macht die Musik und die Texte von Tiefenrausch aus: Sie singen Sachen wie „Durch Kultur und Leit rasen wir bedacht dahin – demokratisch fundiert, Glatzen hauen Schädel ein und werden toleriert“ und rufen dem wütend entgegen: „Barrikaden werden bald vor wilden Flammen schrein!“ Das alles unterlegt mit wild drauflos gespieltem Skapunk, bei dem es nicht um technische Perfektion geht. Für die acht Musiker zählt das Gefühl dabei: Hüpfen, Mitsingen und im Arm den besten Freund aus Pubertätszeiten. Unbekümmert und getragen von der Überzeugung, dass Musik etwas bewirkt in den Köpfen der Hörer, buchten sie sich vor zwei Jahren spontan und ohne Unterstützung einer Konzertagentur die Columbiahalle: Prompt kamen 2.500 Fans, um mit ihnen zu feiern. Tiefenrausch leben den guten alten D.I.Y.-Punk-Gestus und haben damit Erfolg. Bandgeschichten wie diese machen glücklich. Und bringen einen dazu alte Kumpels anzurufen, um mit ihnen „Keine Macht für niemand!“ rufend um die Häuser zu ziehen. Eben wie früher, als man sich noch keinen Plan machte um Zukunft, Geld und Machbarkeit von Utopien. Veronika Wallner