Berliner Platte : Stilistische Vielfalt und handwerkliche Souveränität gegen alte Klischees
Das wurde ja auch Zeit, dass endlich jemand versucht auszubrechen aus der bekannten Berliner Blaupause. Yaneq wird dem Titel seines Debutalbums „Widersprüche“ gerecht und lässt sich nicht einordnen. Ein bisschen Berliner Härte darf schon sein, aber dabei bleibt der mittlerweile schon 34-jährige Jan Kage, in Kreuzberg bekannt als Lesebühnen-Aktivist und Partyorganisator, Autor („American Rap“), Schauspieler („Status Yo!“) und Gründungsmitglied der Pflegerlounge, nicht stehen: Zwar plappert da durchaus die Straße, aber entschieden differenzierter, als man das zuletzt aus der Hauptstadt gewohnt war. Wenn Yaneq verkündet: „Ich will Exzess“, dann tritt er in einen ebenso realistischen wie amüsanten Dialog mit seiner besorgten Mutter, in „Terrordrom“ beschreibt er, angelehnt an Public Enemy, den bundesdeutschen Politalltag. Ansonsten geht es um „die Abgründe unserer Seele“, aber halt auch um Drogen, B-Boys und „heiße Damen“. Die ganze Palette eben, mitunter auch etwas prätentiös, meist aber rollt alles recht rund und ist damit aufregender als alles, was seit Monaten von Berlin aus in die Charts entsendet wird. Auch musikalisch traut man sich einiges: Programmatisch beginnt „HipHop Elektroparty“ mit der wie ein Mantra wiederholten Zeile „Brecht den Beat“. Denn statt sich an Berliner Bollerei oder den üblichen mittelmäßigen Kopien von Dre, Timbaland oder Neptunes zu versuchen, beschwören Yaneq und seine Ko-Produzenten lieber die Wurzeln und zitieren Kraftwerk. Oder sie wenden sich gen London und adaptieren den dort regierenden Grime und dessen wahnwitzige, asymmetrische, grobe Rhythmen. Dass auch Kronstädta, eine Hälfte des leider verblichenen Department, und der schwer beschäftigte Rock-Produzent Moses Schneider dabei sind, garantiert sowohl eine ungewohnte stilistische Vielfalt als auch handwerkliche Souveränität.
Im Gegensatz dazu bedient D-Bo auf „Seelenblut“ all die Klischees, mit denen Rap aus Berlin zuletzt erfolgreich wurde. Kein Wunder, erscheint das dritte Album des Niedersachsen Danny Bokelmann, der seit zwei Jahren hier lebt, doch auf Ersguterjunge, dem Label von Berlins erfolgsreichstem Gangsta-Rapper Bushido, mit dem zusammen Bokelmann dereinst bei der Crew BMW zugange war. Da wird „Deutschland geburnt“, erklärt sich D-Bo zum „Player“, der immer Ärger mit den „Hatern“ hat, aber dafür Kumpels mit einem „harten Sack“ und Freundinnen, die „einen blasen“. Auch ansonsten werden alle verfügbaren Versatzstücke aus Amerika eins zu eins übersetzt: Frauen dürfen verrucht einen Refrain einsingen, wenn sie nicht gerade “etwas Hartes“ suchen müssen, und die Beats schlürfen möchtegerncool die Westcoast entlang, während D-Bo und seine Gäste Saad, Chakuza oder Taichi den harten Mann markieren und wie gewohnt auch nicht auf Homophobie verzichten. Natürlich lässt sich auch der Label-Chef Bushido selbst nicht lange bitten und zeigt in bekannter Qualität den „Fotzen“, wo der Hammer hängt. Man darf gespannt sein, wie lange sich die Berliner Härte tatsächlich noch verkauft. THOMAS WINKLER