Berliner Platte: Kleine Labels mit großen Schreibtischen
Das Gute liegt oft so nah. Manchmal sitzt es am Schreibtisch nebenan. Kann vorkommen, jedenfalls, wenn man eine kleine, recht renommierte und vor allem unglaublich coole Plattenfirma ist, bei der die meisten eh eher wegen der Ehre und weniger des Geldes wegen arbeiten. Schließlich hat man eigentlich Größeres vor: So auch Marit Posch, die sich die Butter aufs Brötchen verdiente als Beauftragte für die Promotion bei BPitch Control, der Plattenfirma von Ellen Allien. Berlins Vorzeige-Elektrikerin, so geht zumindest die firmeneigene Legende, hörte nur zufällig die Musik ihrer Angestellten. Und war gleich so begeistert, dass sie Posch unter ihrem Künstlernamen Damero nicht nur ins Portfolio aufnahm, sondern mit der Neuverpflichtung auch gleich das Repertoire erweiterte: Denn Damero singt auf ihrem Debütalbum „Happy In Grey“ sowohl Englisch wie Deutsch, oszilliert zwischen TripHop und Wohnzimmer-Elektronik und offenbart bisweilen einen gewissen Hang zum Liedermacherhaften. Kurz gesagt: Das passt nicht wirklich morgens um fünf in den Techno-Club. Vor allem nicht, wenn die Anwesenden wider Erwarten noch in der Lage sein sollten, den Texten zu lauschen: „Zwischen gestern und morgen liegt nur das Jetzt / Und mein Dasein wird in ihm zersetzt“. Oder gleich richtig allgemeinplatzig: „Alles kommt, wie es kommen musste.“ Textlich mag „Happy In Grey“ zwar zwiespältig sein, die musikalische Umsetzung allerdings lässt manches überhören: Mit Apparat, Zander VT, Nevis Peak und Antye Greie-Fuchs haben vornehmlich anerkannte Lokalgrößen die leicht mädchenhafte Stimme von Posch mit kühlen, bisweilen leicht verqueren, aber stets sehr eleganten Tracks unterlegt. So geht’s vom Vorzimmer wenn schon nicht auf den Dancefloor, dann doch wenigstens in die Chill-out-Zone.
Ebenfalls weitgehend entspannt, wenn auch mit meistenteils anderen Mitteln präsentiert sich Kitty Solaris auf „Future Air Hostess“. In ihren Anfangstagen ließ Kirsten Hahn ihren in der Küche komponierten Songs den Takt mangels Alternativen von einem Drumcomputer vorgeben und zog sich so unverdient ein Image als neue Barbara Morgenstern zu. Heute lässt sie sich lieber von einem Schlagzeuger unterstützen, dreht ihren Gitarrenverstärker auch schon mal ein bisserl auf und buchstabiert manches Rockklischee noch einmal durch. Aber auch wenn hier nicht einmal in Ansätzen etwas Neues entworfen wird, gelingen Kitty Solaris doch immerhin einige wundervolle Gitarrenpopsongs. Die schwingen sich bisweilen zu solch hübschen Melodien auf, dass man glatt die reduzierte Besetzung vergessen könnte. Gesungen wird übrigens Englisch, denn der Anspruch ist international. Doch die Aussichten, größeren Erfolg zu haben, dürften marginal sein. Die Voraussetzungen dafür aber liegen jetzt immerhin vor: Denn „Future Air Hostess“ ist zwar schon fast ein Jahr alt, aber nun erst hat Hahn für ihr eigenes Label einen Vertrieb gefunden. Das allerdings ist noch so klein, dass da garantiert niemand am Nachbarschreibtisch sitzt. THOMAS WINKLER
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