Berliner Europaabgeordnete: Gewalt im Europaparlament - und keiner merkt's
Das EU-Parlament gilt immer noch als Versorgungsplatz für abgehalfterte Politiker. Auch unter den Berliner Volksvertretern gibt es welche, die in Straßburg noch nicht groß aufgefallen sind
Das EU-Parlament gilt immer noch als Versorgungsplatz für abgehalfterte Politiker. Auch unter den Berliner Volksvertretern finden sich welche, die in Straßburg noch nicht groß durch inhaltliche Initiativen aufgefallen sind Warum hört man eigentlich so wenig von vielen Berliner EU-Abgeordneten? Wer weiß zum Beispiel spontan, für welche Inhalte sich Sylvia-Yvonne Kaufmann oder Roland Gewalt in Straßburg einsetzt? Wer hat diese Namen überhaupt schon einmal gehört?
Im nächsten Jahr wird nicht nur der Bundestag neu gewählt, sondern auch das Europaparlament. Bei den Grünen beginnt der Kandidatenzirkus schon an diesem Samstag. Mit dabei ist auch Michael Cramer. Er will auch die nächsten fünf Jahre in Brüssel Verkehrspolitik machen. Anders als bei Cramer hält sich die Bekanntheit der vier anderen Berliner EU-Abgeordneten in Grenzen. Die CDU überlegt deshalb, ihren EU-Vertreter Roland Gewalt aus Brüssel abzuziehen - und durch den gescheiterten Exfraktionschef Friedbert Pflüger zu ersetzen. TAZ
Das blasse Erscheinungsbild vieler Abgeordneten liegt natürlich auch daran, dass die meisten Medien die Berichterstattung aus Brüssel vernachlässigen. Aber bei einigen Abgeordneten gäbe es auch gar nichts zu berichten, selbst wenn man noch so genau hinschauen würde.
Als größter Ausfall unter den fünf EU-Parlamentariern aus Berlin gilt Roland Gewalt von der CDU. Der ist in Straßburg unter anderem Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu Südafrika. Gewalt kam im Jahr 2005 als Nachrücker ins EU-Parlament für Ingo Schmitt, der aus Straßburg in den Bundestag wechselte. Ein eigenes Profil entwickelte Gewalt zu keiner Zeit: Schon für seine Website übernahm er einfach Inhalte von Schmitt - anfangs sogar inklusive der Aussage, er sei der CDU-Landesvorsitzende. Unter der Rubrik "Aktuelles" stand zuletzt die Meldung, Gewalt habe im Juni 2007 den französischen Soldatenfriedhof Berneuil besucht. Inzwischen ist die Website abgeschaltet. Zugute halten muss man Gewalt allerdings, dass sich die Beziehungen Europas zu Südafrika in den letzten drei Jahren nicht verschlechtert haben; zumindest nicht spürbar.
Bei Sylvia-Yvonne Kaufmann von der Linkspartei ist es dagegen ungerecht, dass sie nicht bekannter ist. Kaufmann war Mitglied des Konvents, der im Jahr 2003 den Entwurf für die EU-Verfassung vorlegte. Sie ist überzeugte Anhängerin des Vertrags und hat in ihrem Buch "Linke Irrtümer zur EU-Verfassung" viele Vorurteile gegen die Verfassung ausgeräumt. Damit hat sie sich in ihrer Partei, die den Vertrag ablehnt, nicht nur Freunde gemacht.
Die zweite Abgeordnete der Linkspartei in Straßburg und Brüssel ist Sahra Wagenknecht. Die DDR-Nostalgikerin ist weithin bekannt - aber nur als Sprecherin der Kommunistischen Plattform und als Mitglied im Bundesvorstand ihrer Partei, nicht jedoch als EU-Parlamentarierin.
Zu den Berliner Glanzlichtern in Europa gehört die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrendt. Ihre Schwerpunkte sind Umwelt, Verbraucherschutz und Gesundheit. Ihr Fraktionsvorsitzender Martin Schulz lobte sie auf dem SPD-Landesparteitag am vergangenen Wochenende als "eines der führenden Mitglieder meiner Fraktion, eine der kompetentesten Frauen seit vielen Jahren im Europäischen Parlament".
Die SPD will Roth-Behrendt erneut aufstellen. Bei der CDU hingegen denkt man über einen Abzug von Roland Gewalt nach - in der Partei wird darüber spekuliert, ob man nicht den gestürzten CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger ins EU-Parlament abschieben könnte.
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