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Archiv-Artikel

Berlin auf dem Türkei-Trip KOMMENTAR VON RALPH BOLLMANN

So vorausschauend stritten sich die drei Berliner Koalitionspartner schon lange nicht mehr. In knapp zwei Monaten erst übernimmt Deutschland die EU-Präsidentschaft, doch schon jetzt suchen sich SPD, CDU und CSU an europapolitischer Lautstärke zu übertrumpfen. Der Fortschrittsbericht zum möglichen Beitritt der Türkei, den die EU-Kommission heute vorlegen will, bietet nur den willkommenen Anlass.

Bei der SPD entdecken neben Außenminister Frank-Walter Steinmeier nun plötzlich auch Parteichef Kurt Beck und Vizekanzler Franz Müntefering ihr Interesse an den Brüsseler Vorgängen. Das Motiv ist klar. Sie wollen verhindern, dass die Bundeskanzlerin wie zu Beginn ihrer Amtszeit aus dem Maschinenraum der Innenpolitik aufs außenpolitische Sonnendeck entwischt, wie es der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil damals plastisch formulierte. Da hatte Angela Merkel gerade den scheinbar unlösbaren EU-Finanzstreit geschlichtet und stand als große Heldin da – bis die politischen Beobachter nachrechneten und der Kanzlerin die Verschleuderung von Steuergeldern vorwarfen.

Schon dieser Vorgang machte deutlich: Anders als die klassische Außenpolitik taugt das europäische Tagesgeschäft nur bedingt zum Einschmeicheln beim Wahlvolk. Dazu ist es schon zu sehr Bestandteil der Innenpolitik geworden, mit allem Tauziehen um Haushaltsposten und Gruppenegoismen, Verfassungskontroversen und föderale Eitelkeiten.

Schwerer noch wiegt für Merkel der Ärger mit dem eigenen politischen Lager. Während sie als Kanzlerin dem Primat europapolitischer Vernunft gehorchen und die Verhandlungen über einen türkischen EU-Beitritt weiterführen muss, verlangt CSU-Chef Edmund Stoiber ganz ungeniert den Abbruch der Gespräche – auch wenn er sich nicht entscheiden kann, ob er diesen Wunsch nun mit dem „andauernden Vertragsbruch“ der Türkei begründet oder aber mit dem auch durch strikte Vertragstreue nicht zu beseitigenden Umstand, dass der Staat am Bosporus aus Stoibers Sicht „kein europäisches Land“ ist. Dass eine Ratspräsidentin Merkel unter solchen Umständen aufleuchten wird, brauchen weder SPD noch CSU zu fürchten.