Berichte aus Bremen: „Der Konsens war stark“
Stadtbewohner Yunus Soner lebt als Auslandskorrespondent der linkskemalistischen türkischen „Aydinlik“ in Bremen – obwohl er aus Deutschland nicht berichten mag.
taz: Herr Soner, waren Sie zu Hugo Chávez’ Beerdigung in Caracas?
Yunus Soner: Nein, leider nicht. Ich habe nur die offizielle Trauerfeier besucht.
Da sind Sie sicher vielen berühmten Staatsleuten begegnet.
Eigentlich nur Mahmoud Ahmadinedschad. Ich habe mich aber mehr für die Stimmung unter den Leuten interessiert. Die Menschen, die ich getroffen habe, waren sehr bedrückt – und andererseits trotzig fröhlich. Ich denke, sie wollten zeigen, dass die Revolution nicht mit Chávez gestorben ist.
Ich bin direkt nach der Wahl noch einmal da gewesen. Die Lage war äußerst angespannt. Alle haben mit einem deutlich besseren Abschneiden des sozialistischen Kandidaten Nicolás Maduro gerechnet. Ich habe für meine Zeitung über die Lage in Venezuela berichtet.
Sie sind häufig als Auslandskorrespondent für die türkische Tageszeitung Aydinlik unterwegs. Was ist das für ein Blatt?
1972 in Ankara geboren, wuchs in Istanbul und Hamburg auf und studierte an der Uni Bremen Politikwissenschaften. Für die Tageszeitung "Aydinlik" schreibt er Auslandsreportagen aus Venezuela und Ägypten.
Eine linke Zeitung mit einer klaren säkularen, antiimperialistischen und patriotischen Schlagrichtung.
Patriotisch?
Es geht gegen die Zersplitterung der Türkei in viele unterschiedliche ethnische Gebiete. Die PKK wollte zwar immer einen eigenen Staat für die Kurden, hier geht es aber um einen politischen Nationalismus, der unterschiedliche Ethnien vereint.
Welche Geschichte hat diese Zeitung?
Eine sehr turbulente: Sie wurde in den 20er-Jahren gegründet, war zwischenzeitlich immer wieder verboten, 1968 gewann sie enorm an Bedeutung. Eine Weile erschien sie als Wochenzeitung. Seit ein paar Jahren gibt es sie wieder täglich.
Wie hoch ist die Auflage?
65.000. Das ist mehr als die taz.
Können Sie von den Honoraren leben?
Nein. Die Zeitung zahlt keine hohen Gehälter. Sie ist nicht reich. Viele Journalisten schreiben sogar ehrenamtlich. Kürzlich wurde eine eigene Druckerei angeschafft. Das war teuer.
Wozu braucht man die?
Um die Unabhängigkeit zu wahren: Eine herkömmliche Druckerei würde sich eventuell von der Regierung unter Druck setzen lassen.
Für Aydinlik waren Sie auch in Kairo auf dem Tahrir-Platz. Was waren Ihre Erfahrungen?
Die Proteste waren war sehr radikal. In der türkischen Presse gibt es den Brauch, sich bei solchen Ereignissen als Journalist mit aufs Foto zu schmuggeln. Ich habe mich dann vor einem Panzer fotografieren lassen.
Aus Deutschland berichten Sie nicht?
Nee, das ist einfach zu langweilig. Der NSU-Prozess ist natürlich spannend. Das machen aber andere.
Sie haben im Frühjahr die Proteste gegen die AKP-Regierung in Istanbul miterlebt. Was halten Sie als Journalist von der Berichterstattung im Westen?
Man hat hier verschenkt, die Geschichte der Proteste zu erzählen. Stattdessen gab es meist nur beeindruckende Bilder kreativer Proteste und schockierende Bilder brutaler Polizeieinsätze.
Was wäre wichtig gewesen?
Politische Zusammenhänge aufzuzeigen etwa. Es geschieht ja sehr viel mehr als das, was man unmittelbar sehen kann.
Zum Beispiel?
Zu den spannendsten Dingen gehört, dass sich plötzlich Positionen, die unvereinbar schienen, zusammengefunden haben: PKK-Anhänger und Kemalisten, Linke, Ökos und die sogenannten antikapitalistischen Moslems standen da plötzlich vereint auf der Straße, weltliche und säkulare Kräfte. Dass die Regierung zurücktreten soll, war ein starker Konsens.
Aber Erdogan unterstützt derzeit doch die PKK ?
Richtig. Die Rolle der PKK ist hier besonders spannend. Unterhalb des Taksim-Platzes liegt ein sehr neapolitanisch anmutendes Viertel, in dem viele militante Anhänger der PKK leben. Hätten sie sich alle den Protesten angeschlossen, hätte das Einfluss auf die Kräfteverhältnisse gehabt. Stattdessen kam eine symbolische Abordnung von einigen 100 Aktivisten.
Waren Sie als Korrespondent auf dem Taksim-Platz?
Nein, ich berichte für meine Zeitung selten aus der Türkei. Ich habe mit der internationalen Presse gesprochen; sie informiert und für sie übersetzt. So konnte ich auch Informationen vermitteln, die von Nachrichtenagenturen wenig beachtet wurden.
Welche denn?
Es gab eine starke Fixierung auf die aktuellen Proteste. Dabei ging unter, dass es schon lange eine große Unzufriedenheit mit der islamistischen Regierung gibt. Das langfristige Ziel dieser Regierung ist die Abschaffung der Republik und die Errichtung eines Gottesstaates. Damit sind viele Menschen in der Türkei nicht einverstanden. Die Proteste kamen also nicht aus dem Nichts.
Dann waren Sie gleichsam eine Art Pressesprecher des Aufstandes?
Nein, das nicht. Aber die Übersetzungsarbeit war enorm wichtig. Von den ausländischen Kollegen kann ja kaum jemand Türkisch.
Wie wird es jetzt in der Türkei Ihrer Einschätzung nach weitergehen?
Kein politischer Akteur kann ein bestimmtes Datum oder einen bestimmten Grund nennen. Aber alle erwarten einen sehr heißen Herbst.
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