Benjamin Moldenhauer Popmusik und Eigensinn: Sowas wie Hoffnung
In besseren Zeiten würde, wer Ohren am Kopf und eine wirklich nicht zuletzt vom Distinktionsdrang bestimmte Pop-Sozialisation im Gepäck hat, diese Musik meiden, und das weiträumig. Schunkelei, Jungsbund, Songzeilen, die im Blindtest von denen Helene Fischers nachweislich kaum zu unterscheiden sind: Feine Sahne Fischfilet machen Musik, die mir missfällt.
Wenn man diese Band nun aber nicht nach den Maßgaben der Popkritik, sondern als politische Initiative in den Blick nimmt, kommt man sich mit derlei Bedenken schnell borniert und respektlos vor. Anders als Charity-Dödel, wie die sich gleichfalls als linksradikal verstehenden Irie Révoltés, sind Feine Sahne Fischfilet ununterbrochen in ostdeutschen Gegenden unterwegs und machen so etwas wie linke Basisarbeit im Bandformat. Wie eine Jugend dort für Nicht-Rechte aussehen kann, kann der westdeutsche Stadtbewohner in Mirja Präkels „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ nachlesen. Es ist inzwischen kein Geheimnis mehr: Wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist, ist es nicht zum Aushalten und für einige tödlich.
Wenn nun eine Band sich hinstellt und mit der Ansage loszieht, dass sich bei ihren Konzerten die versammeln können, die nicht rundum faschisiert und fertig sind, und dieses Angebot dann auch noch von sehr vielen angenommen wird, denen diese Musik tatsächlich so etwas wie, doch doch, Hoffnung gibt – was soll man da an der Materialästhetik mäkeln?
Die Verständnislosigkeit eines Rezensenten sei ihm, schreibt der Autor Daniel Kulla, zu einer Schmähkritik der Band, „als bärtigem dicken Ossi, der nackt ins Wasser springt, wenn niemand aus dem Westen da ist, für den Aktivitäten gegen nationalistische Mobilisierung existentielle Fragen berühren und der bei ‚Komplett im Arsch‘ Tränen in den Augen hat, schwer verständlich“.
Es ist kompliziert. Feine Sahne Fischfilet machen bocklangweilige Musik, die in ihrer ästhetischen Ambitionslosigkeit geradezu bedrückend wirken kann. Gäbe es diese Musik nicht, wäre alles noch schlimmer. Die soweit ich sehe momentan einzige Möglichkeit, den Widerspruch zu lösen: Je eher der Re-Faschisierung der deutschen Bevölkerung eine Ende gemacht ist, desto eher kann ich diese Musik wieder unbeschwert schrecklich finden. Das wiederum wirft die Frage auf, was Popkritik eigentlich soll, wenn sie, sobald es ernst wird, eh keine Geltung mehr beanspruchen kann.
Sa., 22. 12., 20 Uhr, Pier 2
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen