Bene Tibi - Über Genuß und Geist: Eine seltsame Nacht im Bremer Ratskeller
■ Eine Miniature aus meinem Tagebuch und anderen bremischen Dokumenten (1.Folge) von Christian Marzahn
Im Juni starb Christian Marzahn, Wissenschaftler und Konrektor der Universität. Seine Erinnerungen aus dem Ratskeller, die demnächst unter dem Titel „Bene Tibi“ bei der Edition Temmen erscheinen, druckt die taz in Folge.
Es begegnete mir zum dritten Male schon ein Herr, den ich sicher zu kennen vermeinte: aber aus einer gelesenen Erzählung, nicht aus dem äußeren Leben: wie nur war er jetzt in dieses gelangt Heimito von Doderer
Als ich mich anschickte, meinen semisaecularen Geburtstag zu feiern, war für mich nicht zweifelhaft, daß zu einem solchen Jubiläumstage, wenn man ihm und seinem Trubel nicht gänzlich ausweichen, sondern ihn als eine festliche Veranstaltung begehen wollte, auch ein festlicher Ort gehöre. Und so lud ich denn meine Freundinnen und Freunde, einige Honoratioren der Stadt und die mir lieben Kolleginnen und Kollegen an besagtem Tage in den Bremer Ratskeller. Es war ein rauschendes Fest. Viele schöne Reden wurden gehalten, viel Wein getrunken, und ich erfuhr viel Freundschaft, die mich rührte und beglückte. Die vielen Geschenke freuten mich am Geburtstags-Abend, ängstigten mich am nächsten Tage in ihrer anonymen Fülle und präsentierten die schönsten Uberraschungen, als ich mich ihnen schließlich einzeln widmen konnte.
Unter den Eingeladenen war auch Bürgermeister S. Freudig hatte er zugesagt, war dann aber doch verhindert. „Aber“, sagte er strahlend und tirillierte mit den Fingern seiner rechten Hand, „ich habe ein wunderbares Geschenk für Sie.“ Am Abend überreichte mir seine Mitarbeiterin einen Brief; sie dürfe nicht weggehen, bevor sie nicht beobachtet habe, wie ich den Brief aufnahm. Ich las und war – äußerst überrascht! In dem Schreiben hieß es: „... möchte ich Ihnen eine Nacht im Bremer Ratskeller ganz für Sie alleine, mit den vielen Geschichten und Gesichten organisieren. Sagen Sie mir, wann dies für Sie paßt.“ Ich war, sagte ich, äußerst überrascht, und meine Fassung kehrte erst allmählich zurück. Wie war das möglich? Seit Jahren hatte ich, ganz im Geheimen und für mich allein, gegrübelt, wie und ob überhaupt jemals eine solche Sondererlaubnis zu erwirken wäre. Niemals habe ich jemanden, so glaube ich jedenfalls, in diesen Herzenswunsch eingeweiht. Und nun dieses Geschenk! War es ein Tip gewesen? Dann traf erjedenfalls ins Schwarze. War es eine Eingebung, war sie bemerkenswert. Bis heute weiß ich nicht, was es wirklich war, und dabei mag es bleiben.
Nach dem Geburtstag war viel zu tun, dann kam der Sommerurlaub und schon näherte sich das historische Datum, das für einen solchen Besuch gewissermaßen vorgegeben ist. Nun fiel der 1. September, der Jahrestag der Rose, in diesem Jahr nicht günstig. Und so machte ich mich, nach einem solideren Nachtmahl als gewöbiiiich, schon am letzten Augustabend auf den Weg zum Ratskeller. Das Ostertorfest, das ich auf meinem Wege durchqueren mußte, bedeutete mir wenig. Bierbüchsen überall, lärmende Trinker an den Ständen. Was wußten sie, wohin ich ging und was ich in dieser Nacht vorhatte.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht traf ich im Ratskeller ein. Die Kellner grüßten freundlich, sie waren schon im Bilde, kannten meine Sonderwünsche und Concession. Alles war vortrefflich vorbereitet, und ich nahm Platz im Hauff-Keller, unmittelbar unter Steinhäusers Marmorrelief des Dichters. „Trinket mit Wilhelm Hauff! Geister des Weins wacht auf“ Vor mir auf dem Tisch drei dreiarmige, silberne Kerzenleuchter, Seibzeug und ein Tagebuch, einige Bücher – unter ihnen natürlich die „Phantasien“ in der schönen neuen manholt-Ausgabe. Dazu das Brotkörbchen, Aufstrich, diverse Weingläser und die Hauptsache: die Weine, die ich in dieser Nacht verkosten wollte.
Ein Herr vom Ratskeller-Wachdienst kam und machte seine Runde. Auch er war informiert und verabschiedete sich freundlich. Noch einmal der Oberkellner; ob alles in Ordnung sei. Ich sparte nicht an Lob und Trinkgeld. Er öffnete mir meine erste, kleine Flasche, schenkte ein und wünschte eine gute Nacht. Die Domuhr schlug Mitternacht, verhalten, wie von weit.
seine Beiträge: Bene Tibi- Über Genuß und Geist. Wir drucken die
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des schönen Wortes. Kein „Hört, ihr Herrn und laßt Euch sagen.“ Stattdessen sirrten die Kassenmaschinen in der Großen Halle. Die letzten Rechnungen wurden verbucht, und auch die trinkfesten Gäste verließen nun den Keller. Dann ging das Licht aus und – wirklich wie bei Hauff – wurde die Eingangstür mit einem mächtigen Knall zugeschlagen. Langsam verlor sich das Echo im Keller. Ich hörte, wie der Schlüssel im Schloß herumgedreht wurde, Schritte, die sich entfernten. Dann war ich allein.
Da sitze ich nun, im milden Schein der Kerzen, bei meinem Wein. Der erste ist ein fruchtiger Wein von der Nahe, und ich trinke das erste Glas auf das Wohl des edlen Spenders. Noch kann ich es kaum fassen, daß der Traum Wirklichkeit geworden ist. Aber was wurde er mit sich bringen? Was würde ich erleben in dieser Nacht? Würde ich überhaupt etwas Besonderes erleben? Ich verzeichne einige Notate im Tagebuch.
Aus der Stille, die mich umgibt, erhebt sich ein seltsames Geräusch, zuerst von fern, dann an Stärke zu- und wieder abnehmend, bis es sich ganz verliert. Eine Straßenbahn ist wohl links über mir vorbeigefahren. Plötzlich ein scharfer Schlag. War das am Fenster? Nein, eher an der Tür, von wo ich jetzt auch Stimmen höre. Und da bewegt sich etwas, wohl eine Gruppe später Zecher, die ungestillten Durstes abziehen müssen. Schon ist es wieder still.
Ich entkorke den nächsten Wein, einen Riesling aus dem Rheingau. Ihn widme ich meinem hoch verehrten Landsmann Wilhelm Hauff. Niemals wieder hat jemand den Rheingau und seine Weine so herrlich, so köstlich und so begeistert besungen wie dieser schwäbische Poet. Bene tibi!
Drüben in der Halle höre ich jetzt wieder das Brausen, ein anhaltendes Brausen, das schon die ganze Zeit da war und auch die ganze Nacht nicht verstummt, wie eine ferne Meeresbrandung. Die Wirklichkeit ist vermutlich weniger poetisch. Die Klimaanlage?
Um Mitternacht waren noch zu viele Gäste im Keller gewesen. Kein Geist hatte sich gezeigt. Nun geht es auf eins. Unterseeisch-gedämpft erklingen die Schläge der Domuhr und es passiert – nichts.
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Ich bemerke, daß ich angefangen habe, mit mir zu plaudern. Wie anders nun meine Stimme klingt, nicht mehr gedämpft durch die allgemeinen Geräusche der Geselligkeit. Und wie schön es klingt, wenn man nur leicht gegen das Glas schlägt. Der Ton schwingt lange nach, wie der Geschmack des Weins im Gaumen, und so klar wie der Wein im Glase.
Da sind wieder Schritte. Nicht im Keller, sondern oben unter den Arkaden. Ich werfe einen Blick auf den Eingang. Stehen da wieder Leute? Nein, es bewegt sich nichts. Und schon sind die Schritte verklungen. Ich will mich ein wenig im Keller umsehen. Ich kenne ihnja leidlich, und doch ist er mir jetzt ganz fremd, sogar unheimlich. Die Bilder im Hauff-Saal sind nur noch schwarze Flächen. Das Licht meiner Kerzen ist zu schwach, um ihnen ihre Farbe zu entlocken. Die große Halle erscheint nun endlos tief. Die Wein- Fässer und die Priölken gegenüber sind große, schwarze Höhlen, die ins Dunkel führen. Ob sie dort irendwo verbunden sind? Eine merkwürdi einsaugende Kraft geht von ihnen aus. Man muß sich hüten. Arwie schön, wie faszinierend ist diese alle! Als seien ihre Proportionen, ihre Architektur speziell für Kerzenlicht gemacht. Sein Flackern belebt die Säulen und Gewölbe, die sich im Dunkel verlieren. Alles ist beweglich und in Bewegung und dauernder Veränderung. Wie öde, so geht mir durch den Kopf, ist unser elektrifiziertes Licht gerade hier, so mechanisch, so eintönig; fade tötet es jede Atmosphäre. Bis zu den neun Stufen des Bacchus-Kellers taste ich mich vorm. Am anderen Ende des Kellers reflektiert der Gott aufblitzend das Licht meiner Kerzen. Nach kurzem Verweilen kehre ich um; mein Platz im Hauff-Keller ist in ein freundliches, warmes Licht getaucht, das mir den Weg weist. Meine Schritte hallen laut. Die Figuren am Eingang entpuppen sich als zwei Bäumchen. Sie halten Wache. Eine Gruppe trunkener Sänger hat sich auf dem Markplatz eingefimden. Eine schöne, helle Mädchenstimme ist darunter. Eine ganze Weile singen sie dort oben. Keiner von ihnen weiß, daß ich sie ehört habe in jener Nacht, ein unterirdischer Lauscher. Aber die Henne weiß es, die dort drüben auf m Tresen sitzt. Jch gehe durch den Raum; laut knareen die alten Holzdielen. Im Erfrischungsraum schlä t die Domuhr gerade zwei. Ihr Ton ist laut und klar. Sie niiiß ganz nah sein, so daß man sie fast ticken ört. Auf dem Rückweg mache ich einen weiteren kleinen Abstecher in die Große Halle. Sie ist auch jetzt noch fremd und sonderbar, wirkt aber nicht melir so unheimlich wie voihin. Zurück an meinem Trink- und Leseplatz, flille ich mein Glas erneut mit meinem Rheingauer Riesling und schlage die Phantasien auf. Wo ist sie denn, meine Lieblingsstelle: Bacchus' Eloge auf den Wein vom Rheingau. Ich beginne zu lesen, mir vorzulesen: Dafreute sich mein Herz, daß er mein Reich austreite im deutschen Lande, und als dort die ersten Reben blühten, zog ich ein im Rheingau mit glänzendem Gefolge ... Und als im Herbst das erste zarte Kind des Rheingaues in der Wiege lag, da hielten wir ein großes Fest und luden qlle Elemente zur Feier ein. Und sie brachten kastliche Geschenke und legten sie dem Kindlein als An gebinde in die Wiege. Das Feuer legte seine Hand auf des Kindes Augen und sprach: Du sollst mein Zeichen an dir tragen ewiglich; ein reines, mildes Feuer soll in dir wohnen und dich wert machen vor allen anderen. Und die Luft in zartem, goldenem Gewande kam heran, legte ihre Hand aufdes Kindes Haupt und sprach: Zart und licht sei deine Farbe wie der goldene Saum des Morgens aufden Hügeln, wie das goldene Haar der schönen Frauen im Rheingau. Und das Wasser rauschte heran in silbernen KLeidern, bückte sich auf das Kind und sprach: Ich will deinen Wu,zeln immer nahe sein>daß dein Geschlecht ewig rüne und blühe und sich ausbreite, so weit mein Rheinstrom reicht. Aber die Erde kam und üßtedas Kindlein aufden Mund und wehte es an mit süßem Atem. Die Wohlgerüche meiner Kräuter, sprach sie, die herrlichsten Düfte meiner Blumen habe ichfilr dich gesammelt zum An gebinde. Die köstlichsten Salben aus Ambra und Myrrhen werden gering sein gegen deine Düfte, und deine lieblichsten Töchter wird man die Königin der Blumen heißen – die
Rosen. So sprachen die Elemente; wir aberßubelten über die herrlichen Gaben, schmückten das Kindlein mit frischem Weinlaubuschickten es dem Kaiser in die Burg. Und er erstaunte über die Herrlichkeit des Rebenktndes, hat es fortan gehegt wid gepflegt und die Rebe am Rhein seinen herrlichsten Schätzen gleich geachtet. Ganz hübsch, sagte da jemand laut und deutlich; wirklich, net schlecht. Man bekommt Luscht auf ein Glas Wein von dort, gell? Ich erschrak zu Tode. Diese Stimme kam nicht von draußen. Hat sich da noch jemand-einschließen lassen? Wollten mir die Kellner einen Streich spielen? Ich fillilte mich kalt und
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