piwik no script img

Bekenner-Postkarten zu den Bülowplatz-Morden

Das Milieu des geheimen Partei-Selbstschutzes der KPD prägte den jungen Mielke/ Die SED-Geschichtsschreibung steckt voller Halbwahrheiten  ■ Aus Potsdam Götz Aly

Anders als heutzutage üblich, gingen am Tag nach den Polizistenmorden auf dem Bülowplatz keine Bekennerbriefe bei den entsprechenden Haß- Institutionen ein, sondern — deutlich billigere — Bekenner-Postkarten: abgestempelt am 10.8. 1931 um 14.35 Uhr und um 17.18Uhr vom Berliner Postamt SW 68. Die eine Karte war an die Redaktion der sozialdemokratischen Parteizeitung 'Vorwärts‘ gerichtet, die andere an das Polizeipräsidium am Alexanderplatz — genauer: an die (politische) Abteilung IA, die ein paar Jahre später zum Gestapa, also zum Geheimen Staatspolizeiamt, mutierte. Die Bekenner nannten sich „Terroristische Arbeitsgruppe der Tat“. Während sie ihrem Polizei-Adressaten nur drohend mitteilten „Wir leben noch!“, wurden sie gegenüber den sozialdemokratischen Intimfeinden ausführlicher: „Wir teilen Ihnen mit“, so schrieben die Unbekannten, „daß wir vor den Schergen des ges. Machtapparates keine Angst haben und den Kampf mit der Waffe in der Hand bis zum Ziele weiterführen werden.“ Die Kärtchen wurden in den Registraturen der Polizei vergessen, im Prozeß des Jahres 1934 spielten sie keine Rolle. Die Akte der Abteilung IA, die die Bekennerkarten enthielt, landete nach dem Krieg in einem Moskauer Sonderarchiv. An die DDR zurückgeben, wurden sie später von einer Angestellten des SED-Parteiarchivs mit dem Stempel „Vertraulich“ versehen. Heute liegen die Postkärtchen in der Potsdamer Außenstelle des Bundesarchivs. Ob sie von dem Schützen Erich Ziemer (taz vom Samstag) und seinem möglichen Mittäter Erich Mielke geschrieben wurden, wird sich heute kaum noch feststellen lassen. Interessanter sind die Sprache und das geistige Milieu, dem die Bekennertexte entsprangen.

Einer der intellektuellen Drahtzieher der Bülowplatz-Morde war der damals 33jährige kommunistische Reichstagsabgeordnete Hans Kippenberger, 1931 Kandidat des Zentralkomitees der KPD, 1923 einer der entscheidenden Akteure des Hamburger Aufstandes. Er gehörte neben Heinz Neumann, damals 41 Jahre alt, ZK-Mitglied und Chefredakteur der 'Roten Fahne‘, zu denjenigen, die das von Ossietzky so genannte „Revolverheldentum“ am Rand der Partei organisierten.

Als innere Abspaltung des damals verbotenen Rotfront-Kämpferbundes formierten sich die Jungterroristen im sogenannten „Partei- Selbstschutz“, allgemein PSS abgekürzt. Mielke und Ziemer gehörten, das steht fest, beide dieser Geheimorganisation an. Sie war Bestandteil des sogenannten „militärischen Apparats“ der KPD, den Kippenberger leitete. Man übte dort die „Kunst des Aufstandes“. Auf dem 12. Parteitag hatte Kippenberger 1929 laut Protokoll gesagt: „Begreift es praktisch, was es heißt, daß wir als Kommunistische Partei vor sehr ernste und sehr komplizierte Aufgaben militärpolitischer Art, vor Aufgaben der direkten Unterstützung der Roten Armee gestellt sind: Wir müssen diese praktische, antimilitaristische Arbeit in den bewaffneten Organisationen schon heute entschlossen und energisch in die Hand nehmen.“

Der Partei-Selbstschutz war 1931 in Fünfergruppen untergliedert, die Mitglieder organisierten sich klandestin, trugen Decknamen, durften nicht mehr wissen als unbedingt nötig. Sie pinselten Parolen, bewachten die Parteizentrale und pflegten das, was sie „individuellen Terror“ nannten. Übungshalber robbten sie nachts mit Pistole und Kompaß durch den märkischen Sand. Man fühlte sich enorm linksradikal, verstand sich als geheimbündlerischer Adel des Proletariats. Die Aktiven betrieben militante Pfadfinderspiele: mit Lagerfeuer und „proletarischem Wehrsport“, mit Klampfe und Knarre. Es galt das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Die PSS-Einheiten wurden von „Führern“ befehligt, die Organisation war in „Gaue“, „Ortsgruppen“, „Kameradschaften“ und „Züge“ untergliedert — jeder „Zug“ bestand aus zwei „Einsatzgruppen“. Die intellektuellen Anführer hielten die sehr jungen Kämpfer ihrer Privatarmee ständig in einer Art Fünf- vor-Zwölf-Stimmung. In einem internen Rundschreiben vom 15. September 1931 heißt es kurz: „Der bevorstehende Kampfwinter muß das Sowjetdeutschland bringen.“

Die KPD hat sich später, und dann auch nur langsam und höchst widersprüchlich, von diesen Gruppierungen distanziert. Über Heinz Neumann heißt es im Biographischen Lexikon der deutschen Arbeiterbewegung (Ost-Berlin 1970): „N. vertrat seit Ende der zwanziger Jahre in entscheidenden Fragen der Strategie und Taktik der KPD abenteuerliche und sektiererische Auffassungen... und förderte Tendenzen des individuellen Terrors.“ Über Hans Kippenberger steht dort: „Im Kampf gegen die faschistische Gefahr wandte er auch Mittel des individuellen Terrors an, die vom Zentralkomitee der KPD aufs schärfste verurteilt wurden.“ Neumann und Kippenberger— aber nicht nur sie — standen 1931 in der KPD für die damalige Politik Stalins, sie waren Exponenten im Kampf gegen die als „Sozialfaschisten“ bezeichneten Sozialdemokraten. Anders als die Parteigeschichtsschreibung der SED glauben machen wollte, wurde die Sozialfaschismus-„Theorie“ erst 1933/34 rückwirkend als „Fehler“ gebrandmarkt. Neumann und Kippenberger bezahlten diesen ideologischen Schwenk mit ihrem Leben: Dem Biographischen Lexikon zufolge wurden Kippenberger und Neumann 1937 „in Moskau unter falschen Anschuldigungen festgenommen“. Das heißt, vom verlogenen SED-Chinesisch in normales Deutsch übersetzt: Sie wurden ermordet.

Im Band IX der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (Ost- Berlin 1968, heraugegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED) steht zu den Bülowplatz-Morden: „Eine schwerwiegende parteifeindliche Handlung hatte Heinz Neumann begangen, als er im August 1931 gemeinsam mit Hans Kippenberger die Erschießung von zwei Polizeioffizieren organisierte, die unter der Arbeiterschaft besonders verhaßt waren... Das geschah am 9. August 1931 auf dem Bülowplatz.“ Die „Provokation“ habe „im krassen Widerspruch zur gesamten Politik der Partei gestanden“. Tatsache ist aber, daß die Partei mehr als drei Monate brauchte, bis sie „anarchistisch- terroristische Bestrebungen“ verurteilte. Angenommen, Mielke war der Mittäter Ziemers, dann hielt er die Akten des Bülowplatz-Prozesses nicht aus Angst vor der westdeutschen Justiz versteckt: Er mußte eine linksradikale „Jugendsünde“ kaschieren, die parteioffiziell als „Fehler“ galt. Ein Fehler allerdings, den die Partei nie wirklich korrigiert wissen wollte. Seine Erfahrungen im klandestin-überheblichen Milieu des PSS prägen auch das spätere Lebenswerk des Erich Mielke. Mit dem, was Ossietzky unmittelbar nach dem Bülowplatz-Attentat über die KPD schrieb, prognostizierte er auch den Aufstieg und Fall der späteren DDR: „So kann einmal Deutschland aussehen, wenn sich die Apostel der ,eigenen Kraft‘ durchsetzen sollten.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen