Bei den Nazis hatte der Begriff „Volk“ irgendwas mit „Rasse“ zu tun, heute dient er der Abgrenzung zu irgendeiner Art Elite: Die Demokratie lebt von der Kritik
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Ich fand es nicht einfach, einen Standpunkt zu finden, wenn es um die Volksinitiative gegen Großunterkünfte (in Hamburg) geht. Die Initiative hat dieses „Volks-“ im Namen. Wer soll das denn sein, dieses „Volk“? Das sind doch eher Leute, die die gleichen Interessen vertreten und nicht das Volk.
Im „Dritten Reich“ war das ein inflationärer Begriff, da gab es alles mit „Volk“: Autos, Seifen, Badezimmer, Lieder und Gemeinschaft. Da hatte das irgendwas mit Rasse zu tun. Heute wird das meistens als Abgrenzung zu irgendeiner Art von Elite verstanden. Das Volk gegen „die da oben“, wobei „die da oben“ je nachdem Politiker, Unternehmer oder einfach nur Reiche sein können. Der Begriff „Volksinitiative“ hat sich dann aber irgendwie etabliert, er ist ein wichtiger Bestandteil der Demokratie.
Die Beteiligten der Volksinitiative gegen Großunterkünfte setzen sich gegen die ihrer Meinung nach zu zentrale Unterbringung von Geflüchteten ein, gegen Großunterkünfte also, in diesem Falle ging die Initiative von Bürgern des Hamburger Stadtteils Neugraben aus. Es wäre nicht gut, wenn zu viele Geflüchtete an einer Stelle untergebracht würden, meinen die Vertreter der Initiative. Ich meine das auch. Es leuchtet ein, dass das nicht gut ist.
Geflüchtete Menschen bringen Probleme mit, sie haben Sorgen, sie sind krank, sie sind traumatisiert, sie sind frustriert, entwurzelt, sie sind in einem anderen Land sozialisiert, haben demnach andere Regeln, andere Umgangsformen. All dies und noch mehr. Natürlich bringen sie auch Gutes mit, aber darum geht es ja nicht. Das Gute stellt kein Problem dar. Es kann also dort zu Konflikten kommen, wo Geflüchtete untergebracht werden – unter den Geflüchteten und auch mit dem Umfeld. Das Umfeld wünscht sich darum oft gar keine Geflüchteten oder jedenfalls nicht so viele.
Neugraben ist kein nobles Viertel. In Neugraben wohnen bereits viele Menschen mit migrantischen Wurzeln. Ich weiß das, ich habe dort in einer Schule gearbeitet. Wenn sich also einige Menschen dort nicht gegen, sondern für eine ihrer Meinung nach „vernünftigere“ Unterbringung von Geflüchteten in ihrem Stadtteil einsetzen, dann habe ich dafür Verständnis.
Auch mir kommt das sinnvoller und irgendwie auch menschlicher vor, wenn geflüchtete Menschen gleichmäßig in kleinen Gruppen über die ganze Stadt verteilt werden. Wenn sie zwischen anderen Menschen, Alteingesessenen, wohnen können und nicht in großen Unterkünften. Ich finde das der Integration zuträglicher. Aber ich weiß nicht, ob das machbar ist, ob das realistisch ist.
Denn auf der anderen Seite ist die Unterbringung von Tausenden Menschen auch eine große Aufgabe. Und zuallererst müssen diese Menschen überhaupt untergebracht werden, besser schlechter als gar nicht. Und irgendwie dazwischen, und natürlich geht es auch um Geld, liegen wohl die Interessen.
Es gibt Leute, die wollen gar keine Flüchtlinge in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, und das sind Menschen, die einfach nur auf ihr eigenes Wohl bedacht sind, denen das anderer Menschen egal ist. Und es gibt Menschen, die wohl bereit sind, abzugeben, die aber Bedingungen stellen. Das ist legitim. Das ist Demokratie.
Die Volksinitiative hat verhandelt, mit den Hamburger Regierenden, und am Dienstag haben sich die Beteiligten nach wochenlangen Verhandlungen geeinigt, es wird den angedrohten Volksentscheid nicht geben und das freut mich im Stillen.
Es ist wichtig für die Akzeptanz von allem, was mit Geflüchteten zu tun hat, dass auch Kritik geäußert wird und geäußert werden kann. In einer Demokratie etwas kritisieren, heißt nicht die Demokratie kritisieren, sondern sie stabilisieren. Ob die Kritik gerechtfertigt ist oder nur Lobbyismus, das muss man sehen, das ist manchmal nicht einfach herauszufinden.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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