: Beelzebub-betr.: "Berichterstattung über die AL-Programm-MVV", taz vom 19.9. und 20.9.88
Betr.: „Berichterstattung über die AL-Programm-MVV“, taz v. 19.9. und 20.9.88
In Eurem Bericht wird der Eindruck erweckt, bei der Auseinandersetzung um die Grundsätze der AL -Wirtschaftspolitik gehe es um die Entscheidung zwischen der öko-liberalen Köppl-Linie und einer Art SEW-Position. Wäre das wahr, müßte von einem Armutszeugnis für die AL und einer Wahl zwischen Teufel und Beelzebub gesprochen werden.
Zehn Jahre grün-alternativer Bewegung und Diskussion wären spurlos an der AL vorbeigegangen. Die Kritik am real existierenden Sozialismus, die Aufnahme feministischer Positionen, die ökologische und soziale Kritik der zerstörerischen kapitalistischen Produktions- und Konsumstrukturen sowie eine differenzierte Technik- und Zentralismuskritik haben einen neuen antikapitalistischen Konsens geschaffen, der über ein traditionelles Sozialismusverständnis weit hinausreicht, dessen positive Elemente (Antikapitalismus, soziale Frage) jedoch mit einschließt.
Dieser Diskussionsstand darf nicht zugunsten einer angeblichen Radikalität der bloßen Kritik des Konsumverhaltens des einzelnen geopfert werden. Die öko -liberale Köppl-Linie hat die MVV an diesem Punkt platzen lassen. Der einzelne Konsument ist also schuld: Diese Radikalität freilich hatte sich mein bayerischer katholischer Dorfpfarrer schon vor 20 Jahren zu eigen gemacht. Sie zielt auf den gut informierten und betuchten öko-liberalen Mittelstand.
Aber einverstanden, das Private ist politisch, die Konsumstrukturen müsen sich im Zuge einer Bewußtseinsänderung ebenfalls verändern. Damit die breite Masse der ArbeitnehmerInnen und sozial Schwachen sich ökologisch bewußt verhalten (können), sind jedoch Voraussetzungen notwendig: genügend Geld für ökologische Produkte (Mindestsicherung), genügend Zeit (radikale Arbeitszeitverkürzungen), genug Information (objektive Verbraucherinformation statt Werbung) und vor allem eine nicht-entfremdete selbstbestimmte Arbeit. Denn die These, daß bewußtloser Konsum die Prämie für entfremdete Arbeit soweit es der Lohn zuläßt - darstellt, wird durch den moralischen Appell saturierter Mittelständler nicht falsch. Und merke: „Was nicht produziert wird, kann nicht konsumiert werden.“
Eine Veränderung des Was und Wie der Produktion und die Demokratisierung der Wirtschaft (ökologischer Strukturplan durch Wirtschafts- und Sozialrat, mehr Mitbestimmung bis zur Selbstbestimmung ...) sind also für einen umfassenden ökologischen Umbau unerläßlich.
Diese differenzierte Position als SEW-nah (Knapp) oder Sektierertum (Köppl) zu diffamieren, ist m.E. primitiv (Zuruf: „Holt doch die roten Fahnen raus“) und unredlich.
Statt einem öko-liberalen Rollback sollte die AL den grün -alternativen Diskussionsstand zumindest halten und auf der nächsten MVV eventuellen öko-liberalen Durchstarte- und Ausgrenzungsversuchen eine Abfuhr erteilen.
Michael Zaske, Delegierter des Wirtschaftsbereichs der AL
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