Bayerns Wirtschaftsminister über Energie: „Man hat die Leute für dumm verkauft“
Bayerns Wirtschaftsminister Zeil bleibt dabei: Die Energiewende wird teurer als behauptet. Seine Lösung: flexible Stromsteuern.
taz: Herr Zeil, Ihr Parteivorsitzender Philipp Rösler will die Einspeisevergütung für erneuerbare Energien abschaffen. Da würden Ihnen doch in Bayern selbst konservative Wähler aufs Dach steigen, die ihre eigenen Solaranlagen betreiben, oder?
Martin Zeil: Aus bayerischer Sicht habe ich überhaupt keine Bedenken, dass wir uns ins eigene Fleisch schneiden. Wir haben schließlich die politische Aufgabe, Strom bezahlbar zu halten.
Und wie wollen Sie sicherstellen, dass die Bürger immer noch ihren eigenen Strom produzieren können?
Der Umbau muss in Stufen erfolgen, das geht nicht von heute auf morgen. Das Fernziel muss ein europaweit harmonisiertes System sein, in dem es durch einen Handel mit Grünstromzertifikaten einen einheitlichen Marktpreis für erneuerbare Energien gibt. Wir schlagen vor, das System für eine Übergangszeit um eine nationale Komponente zu ergänzen. So lange könnte man Grünstromzertifikate gegen eine feste Vergütung tauschen. Das würde auch den Kleinanlagenbetreibern eine Teilnahme am Markt ermöglichen.
Wie soll das denn die Kosten drücken, vor allem kurzfristig?
Langfristig durch die Vorteile eines viel effizienteren Systems bei den erneuerbaren Energien. Kurzfristig schlagen wir vor, die Stromsteuer flexibel zu gestalten: Man könnte sie um den gleichen Betrag senken, um den das EEG steigt. Ganz aktuell wollen wir über den Bundesrat einen entsprechenden Vorschlag einbringen. Ich hoffe sehr, dass der Bund dies aufgreift.
Der Bundesumweltminister will erneuerbare Energien in Deutschland besser verteilen. Würden Sie sich in Bayern reinreden lassen?
Wir produzieren im Freistaat schon jetzt 30 Prozent unseres Stromes regenerativ und wollen bis 2020 50 Prozent erreichen. Dazu brauchen wir einen Ausbau der Windkraft. Im Prinzip halte ich eine Verständigung innerhalb der Bundesrepublik für extrem sinnvoll. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass jedes Bundesland quasi energieautark wird. Ein Industrieland wie Bayern braucht eben neben zusätzlichen Gaskraftwerken auch den Windstrom aus dem Norden Deutschlands.
Vor einem Jahr haben sie einen Atomausstieg bis 2022 noch als völlig unrealistisch bezeichnet. Jetzt geht es auf einmal?
Die Entscheidung im vergangenen Jahr war überhastet, dabei bleibe ich. Das zeigt sich jetzt, bei all den Problemen, die wir haben. Selbst die Ministerpräsidenten sprechen von einer drohenden Deindustrialisierung. Allerdings: Auch wenn ich mir einen anderen Ausstiegspfad gewünscht hätte, die Sache ist jetzt entschieden. Nun müssen wir die Antworten geben auf die Fragen, die wir beim Atomausstieg ausgeklammert haben. Der alte Bundesumweltminister hat auf dem Ohr nichts gehört, der neue adressiert zumindest die Probleme richtig.
Die Fakten widersprechen der Deindustrialisierungsthese. Ist das Wahlkampfgetöse?
Ich würde dem Kreis der Ministerpräsidenten nicht generell Wahlkampfgetöse unterstellen.
Dann nehmen Sie die Fakten: Seit 2005 sind die Strompreise für die energieintensive Industrie nicht mehr gestiegen.
Wir haben aber viele Industrien, die nicht die Ausnahmen der energieintensiven Industrie genießen, etwa im Textilbereich oder im Handwerk. Diese haben ein Problem mit den gestiegenen Strompreisen. Sie stellen Investitionen zurück. Das müssen wir sehr ernst nehmen.
Wie soll das eigentlich gehen: Ausnahmen für große Teile der Industrie, den privaten Haushalten verspricht die Politik auch bezahlbare Preise?
Wir können in der Tat die Ausnahmen nicht unbeschränkt ausweiten. Man muss die Lasten besser verteilen. Vor einem Jahr wurde behauptet, die Energiewende koste die Bürger nicht mehr als eine Tasse Cappuccino im Monat. Da hat man die Leute für dumm verkauft. Hier setzt zum Beispiel mein Vorschlag einer Strompreisbremse an.
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